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Ausstellung in Berlin erinnert an verhüllten Reichstag

Christo

Es war eine Kunstaktion der Superlative. Mehr als fünf Millionen Menschen wollten 1995 Christos "Wrapped Reichstag" in Berlin sehen. Sechs Jahre nach der Verhüllung des symbolträchtigen Gebäudes wird nun eine Ausstellung in der Hauptstadt das große Ereignis noch einmal in Erinnerung rufen. Christo und Jeanne-Claude selbst werden am Montag in Berlin auf die Schau einstimmen, die vom 8. September bis 30. Dezember im Martin-Gropius-Bau - und nur hier - gezeigt wird.

65 vorbereitende Zeichnungen und Collagen, ein großes Modell aus dem Jahr 1981, 70 Dokumente und technische Zeichnungen, 225 Fotografien von Christos "Hausfotograf" Wolfgang Volz und Originalteile von Verhüllungsmaterialien werden zu sehen sein. Die Ausstellung soll auch den beharrlichen Kampf in den 70er, 80er und 90er Jahren dokumentieren, der der Verwirklichung des "temporären Kunstwerks" vorausging.

Am 24. Juni 1995 ist es soweit: Die letzten der tonnenschweren, silbrig glänzenden Stoffbahnen werden der Fassade herabgelassen, Profikletterer haben sie mit blauen Seilen vertäut. Der "Wrapped Reichstag" ist vollendet. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Das Kunstwerk auf Zeit zieht bis zu seinem "Verschwinden" am 6. Juli Millionen Besucher aus aller Welt an. Der verhüllte Reichstag ist Pilgerstätte, Ort von Happenings und Partys für Kunstfreunde quer durch die Generationen. Die überwältigende Resonanz bekehrt selbst leidenschaftliche Gegner des Projekts und Skeptiker - und derer gab es viele.

Mehr als zwei Jahrzehnte hatten das Künstlerpaar und seine Mitstreiter um das Vorhaben gerungen, bevor es endlich realisiert werden konnte. Der Initialzündung durch eine Ansichtskarte, die der in Berlin lebende Amerikaner Michael S. Cullen 1971 mit der Bitte "Verhüllen Sie den Reichstag" den Christos nach New York schickte, folgten über 50 Deutschlandbesuche der Künstler. In zahllosen Gesprächen warben beide um politische Unterstützung für ihr Vorhaben - lange ohne Erfolg. Nicht weniger als drei Bundestagspräsidenten lehnten zwischen 1977 und 1987 die Kunstaktion ab.

Erst Rita Süssmuth (CDU) sichert 1991 dem Projekt ihre volle Unterstützung zu. Am 25. Februar 1994 kommt es zu einer leidenschaftlich geführten Bundestagsdebatte, die zugleich eine Premiere ist: Erstmals stimmt ein Parlament über die Existenz eines Kunstwerks ab. Es gibt 292 Ja-Stimmen, 223 mal Nein und 9 Enthaltungen. Dieses Votum wertet Christo als "eine Demonstration der Kraft, Größe und Tragweite des Projekts". Obwohl das Vorhaben mit über elf Millionen Mark Kosten alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, lehnen die Christos finanzielle Unterstützung ab. Allein durch den Verkauf eigener Kunstwerke soll das Geld eingespielt werden.

Über die Jahre hatten sich zum Für und Wider der Reichstagsverhüllung Fronten quer durch alle politischen Reihen gebildet. Wichtigstes Argument der Gegner war, die Kunstaktion schade dem Ansehen des politischen Symbols Reichstag. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und mit ihm viele CDU-Anhänger lehnten das Projekt heftig ab, aber auch prominente Linke, unter ihnen der Schriftsteller Günter Grass.

Dann aber findet die Verhüllung von Anfang an riesiges Publikums- und Medieninteresse. "Alle Augen schauen auf Berlin", freuen sich die Blätter in der Hauptstadt. Am frühen Morgen des 17. Juni 1995 beginnt die Aktion mit dem Abrollen der ersten Gewebebahnen an den Innenhöfen. Insgesamt 100.000 Quadratmeter der silbergrauen, reißfesten Polypropylenfolie, in 70 Paneele zerlegt, werden von 120 Mitarbeitern herabgelassen und von 90 Profikletterern nach und nach mit Tauen fest um den Gebäudekörper geschnürt. Wie das "Silberkleid" sind auch die 15.600 Meter langen Seile eine Spezialanfertigung. Sie bestehen aus 3,2 Zentimeter dickem Polypropylen. Am Boden werden die Bahnen von 477 Gewichten gehalten, die mit einer Stahlkette verbunden sind.

Das Team arbeitet in zwei Schichten zwischen 5 und 23 Uhr, um möglichst rasch voranzukommen. Nur ab und zu gibt es Zwangspausen durch Regen, Gewitter oder zu starken Wind. Christo und Jeanne-Claude sind ständig vor Ort, um den Fortgang zu beobachten. Und mit ihnen tun das die Besucher. Anfeuernde Rufe für die in den Seilen hängenden Kletterer, Jubel nach dem gelungenen Befestigen jeder Bahn und Riesenapplaus, als am 24. Juni das Werk vollendet ist.

Von da an kommen die Schaulustigen in Scharen. Der "Wrapped Reichstag" verändert ständig sein Gesicht. Im Sonnenschein wirkt er wie ein riesiges Silberraumschiff. Wolkenhimmel und Regenwetter lassen ihn eher melancholisch grau aussehen. Die eigentümliche Schönheit des Kunstwerks ist auch dem Spiel des Windes mit dem Folienkleid zu danken und macht den Reichstag zum bis dahin begehrtesten Fotomotiv Berlins. Wenigen glücklichen Souvenirjägern gelingt es, kleine Quadrate des Verhüllungsgewebes zu ergattern, das Ordner ab und zu verteilen. Zu der heiteren, entspannten Atmosphäre tragen auch Kleinkünstler und Straßenmusiker bei, die das staunende Publikum auf der großen Wiese vor dem Reichstag unterhalten.

Nach zwölf Tagen ist alles vorbei. Christo und Jeanne-Claude, überglücklich angesichts die Riesenerfolgs, lassen sich zu keiner Verlängerung drängen. Die Enthüllung beginnt am 7. Juli. Die Künstler bleiben damit ihrem Grundsatz treu, dass gerade das Vergängliche, Flüchtige des Kunstwerks seinen Reiz ausmacht.