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Ringen um Mindestlöhne unbekannter Höhe

Linke treibt SPD und Union

Im Koalitions-Streit um die Einführung von Mindestlöhnen hat sich am Mittwoch keine rasche Einigung abgezeichnet. Politiker der Union wiesen vor einer Spitzenrunde im Kanzleramt zentrale Forderungen der SPD zurück. Die gesamte Linksfraktion unterstützt die SPD-Aktion "Politik für gute Arbeit – Deutschland braucht Mindestlöhne". Oskar Lafontaine und Gregor Gysi haben dem SPD-Vorsitzenden am 28. März die entsprechenden Unterschriftenlisten zugesendet. Die beiden Fraktionsvorsitzenden sowie Klaus Ernst und Lothar Bisky hatten als Erstunterzeichner den Aufruf der SPD zur Einführung von Mindestlöhnen unterschrieben. Die Fraktion hat den Text in einem eigenen Antrag aufgenommen und will ihn in den Bundestag einbringen. "Die SPD-Forderungen sind unsere Forderungen seit 2005", sagte Gysi, unter Anspielung darauf, dass die Linksfraktion das Thema damals auf den Tisch brachte, die SPD bisher allerdings die Anträge der Linksfraktion stets abgelehnt hat.

In dem Antrag der Linksfraktion heißt es, Deutschland sei – gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Leistung – so reich wie nie zuvor. Trotzdem arbeiteten viele Menschen den ganzen Tag, ohne sich und ihre Familien vom erarbeiteten Lohn ernähren zu können. "Armutslöhne sind ungerecht und unsozial. Sie missachten die Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist ein Skandal. Wer voll arbeitet, muss davon leben können."

Großbritannien, die Niederlande, Belgien – die meisten europäischen Nachbarn und selbst die USA praktizierten Mindestlöhne mit Erfolg, meint die Linksfraktion. Auch in Deutschland sei es höchste Zeit, gerechte Löhne, gute Arbeit, soziale Sicherheit und Mindestlöhne zu garantieren. "Menschen, die einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, müssen von ihrer Arbeit auch menschenwürdig leben können", fordert die Fraktion.

Mehr als 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiteten in Deutschland "für Armutslöhne, die weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohns betragen". Die Einkommensschere gehe weiter auseinander. "Während Spitzengehälter zunehmen, stagnieren die Löhne für viele Beschäftigte."

Die Tarifbindung nehme weiter ab. Nur 68 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 53 Prozent in Ostdeutschland erhalten nach Angaben der Linksfraktion tariflich vereinbarte Löhne. Armutslöhne gebe es allerdings nicht nur bei tarifungebundenen Arbeitgebern. "Auch viele Tariflöhne liegen zwischen drei und vier Euro", heißt es in dem Bundestagsantrag.

Dabei seien "Niedriglöhne" nicht allein die Folge zu geringer Qualifikationen. Schließlich würden 60 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Nach Auffassung der Linksfraktion ist die Aufstiegsmobilität in besser bezahlte Jobs vielfach eine Illusion. "Niedriglöhne sind kein Einstieg in eine bessere Zukunft, sondern bedeuten meist Verharren in Armut."

Die Bundesregierung wird in dem Bundestagsantrag daher aufgefordert, tarifvertragliche Lösungen für Mindestlöhne zu fördern und dazu das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Wirtschaftsbereiche auszuweiten. "Für Branchen, in denen tarifliche Lösungen nicht greifen oder Tariflöhne ein Mindestniveau unterschreiten", solle ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden, der sich in seiner Höhe am Niveau vergleichbarer europäischer Länder orientiere.

Ramsauer: "Ausreißer" in den Tarifverträgen mit Stundenlöhnen unter vier Euro

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte, bisher habe "Müntefering - er ist als Bundesarbeitsminister dafür zuständig - in keiner einzigen Branche den Nachweis führen können, dass wir soziale Verwerfungen haben. Wenn er den Nachweis führen kann, sind wir offen für weitere branchenspezifische Löhne." Pofalla lehnt einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn angeblich ab.

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte, die Union sei zu einem Kompromiss bereit. Ziel müsse es sein, die "Ausreißer" in den Tarifverträgen mit Stundenlöhnen unter vier Euro "zu beseitigen". Raumsauer kündigte jedoch zugleich an: "Gesetzliche Mindestlöhne wird es nicht geben." Daher erwarte er beim Spitzentreffen der Koalition am Mittwochabend keinen Durchbruch.

Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz rechnete nicht mit nennenswerten Fortschritten. Er glaube aber, dass sich die Koalition "auf der Zielgeraden" befinde und bis Ende April eine Einigung erzielen werde.

Scholz untermauerte die SPD-Forderungen nach einer Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen nach dem Vorbild der Baubranche sowie nach einer "Entgeltschranke" nach unten, einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Diskussion werde für seine Partei nach dem angestrebten Koalitions-Kompromiss nicht zu Ende sein. In der Folgezeit werde sich die SPD vielmehr bemühen, den "zweiten Teil der Strecke" durchzusetzen.

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) sagte, er wolle "sittenwidrige Löhne verbieten". Ferner wolle er "einen Lohnsockel, der nicht unterschritten werden darf, damit nicht der Staat ergänzend indirekt Löhne zahlen muss". Außerdem wolle er erreichen, dass alle Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden können "und sie so die Chance auf tarifliche, allgemeinverbindliche Mindestlöhne bekommen".

Auf die Frage, ob er hierfür die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe, sagte Müntefering: "Alle haben erkannt, dass wir verhindern müssen, dass Löhne künstlich niedrig gehalten werden und der Staat aus der Steuerkasse indirekt Löhne zahlt."