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Diskussionen über Konsequenzen nach dem Beinahe-GAU in Schweden

Atomenergie

Nach dem Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark fordert das Bundesumweltministerium von den Bundesländern und den Betreibern deutscher Atomkraftwerke (AKW) genaue Auskunft über ihre Notstromsysteme. Nach Angaben einer Ministeriumssprecherin sollen die Atomaufsichtsbehörden der Länder so schnell wie möglich berichten, ob in den Atomkraftwerken jene Notstrom-Anlagen von AEG geliefert wurden, die in Schweden möglicherweise Ursache des Störfalls waren. Die Betreiber sollen mögliche Erkenntnisse mitteilen, ob ein Störfall wie in Schweden auch in deutschen Anlagen möglich wäre. Die deutsche Atomwirtschaft hält nach ersten Analysen in deutschen Kernkraftwerken einen völlig identischen Störfallverlauf mit dem in Schweden nicht für möglich.

Nach Einschätzung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW kann hingegen bereits ein Kurzschluss - beispielsweise infolge eines Unwetters - in Deutschland jederzeit zum Super-GAU führen. Die Umweltorganisation Greenpeace fordert von der Bundesregierung eine Beschleunigung des geplanten Atomausstiegs. Ein Atomausstieg sei bei entsprechendem politischen Willen bereits in fünf bis sieben Jahren "technisch machbar", ohne dass hierfür zusätzliche Kohlekraftwerke benötigt werden würden.

Die IPPNW ist mit der Informationspolitik der deutschen Bundesregierung äußerst unzufrieden. Die bisherigen "dürren" Pressemitteilungen des Ministeriums seien mehr "Desinformation" als "Information". Das Ministerium solle endlich uneingeschränkt und umfassend über den Vorfall in Schweden informieren, fordert die Organisation.

Das Bundesumweltministerium will schnellstmöglich klären, ob Sicherheitsmängel wie in Schweden auch in deutschen Atomkraftwerken vorliegen. Dabei arbeite das Ministerium mit der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), dem Bundesamt für Strahlenschutz und den Atomaufsichtsbehörden der Länder zusammen. Die Bundesatomaufsicht stuft den Ausfall der Stromversorgung im Atomkraftwerk Forsmark als "sicherheitstechnisch ernstes Ereignis" ein.

Atomforum schließt bei "Zwischenfall" wie in Schweden "die gleichen Folgen" aus

Die deutsche Atomwirtschaft hält nach ersten Analysen in deutschen Atomkraftwerken einen völlig identischen Störfallverlauf wie im schwedischen Atommeiler Forsmark nicht für möglich. "Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen über die Abläufe in Forsmark kann ausgeschlossen werden, dass ein solcher Zwischenfall in deutschen Kernkraftwerken die gleichen Folgen hätte", teilte das Deutsche Atomforum am Freitag mit. Es gebe "keinerlei Anhaltspunkte für eine Übertragbarkeit des Vorfalls".

Das Konzept der unterbrechungslosen Stromversorgung deutscher Atomkraftwerke unterscheide sich "signifikant" von dem in Forsmark. Unterschiede bestünden in der Dimensionierung und der eingesetzten Gerätetechnik wie beispielsweise den verwendeten Wechselrichtern.

"Die Betriebsstörung" sei von der schwedischen Atomaufsichtsbehörde SKI auf der siebenstufigen internationalen Bewertungsskala als Ereignis der Stufe 2 und damit als so genannter Störfall eingestuft worden, betont das Atomforum.

IPPNW: Schon ein Sturm oder ein Blitzschlag kann in Deutschland zum Super-GAU führen

Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW hält es für eine "gezielte und gewollte Irreführung der Öffentlichkeit", wenn die Diskussion jetzt auf die AEG-Notstrom-Anlagen beschränkt wird. Nach Einschätzung der Organisation muss vor allem auch die Auslösung des Ereignisses in Schweden genau analysiert und die Parallelen in Deutschland betrachtet werden. So könne bereits ein Kurzschluss, beispielsweise infolge eines Unwetters, in Deutschland jederzeit zum Super-GAU führen.

Der Kurzschluss außerhalb des schwedischen Atomkraftwerks Forsmark habe dazu geführt, dass in der Anlage alles aus dem Ruder gelaufen sei und nur wenige Minuten bis zum Super-GAU gefehlt hätten. In Biblis B habe am 8. Februar 2004 ein wetterbedingter Kurzschluss außerhalb der Anlage "dazu geführt, dass es zum gefürchteten Notstromfall kam" (ngo-online berichtete). Hierbei handelt es sich nach Auffassung der IPPNW "um eine ganz grundlegende, nicht lösbare Sicherheitslücke."

Selbst die atomenergie-freundliche Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) habe schon 1992 in einer Arbeit für das Bundesumweltministerium (BMU) eindringlich vor "Überspannungen" gewarnt. Laut IPPNW bedeutet das praktisch: "Es genügt schon ein Unwetter, ein Blitzschlag, Sturm, ein durch Schneelasten umfallender Strommast oder auch ein Sabotageakt, dass es zum Kurzschluss und infolge dessen in den deutschen Atomkraftwerken zu gefährlichen Situationen kommen kann. Laut GRS ist diese Problematik technisch nicht ausreichend verstanden und ein zuverlässiger Schutz ist schlichtweg nicht möglich."

Kritik an der Überprüfung durch das Bundesumweltministerium

Die Atomkritiker halten es vor diesem Hintergrund für unzureichend, dass das Bundesumweltministerium angesichts des Beinahe-Unfalls in Schweden lediglich klären wolle, "ob die zugrunde liegenden sicherheitstechnischen Mängel auch in deutschen Atomkraftwerken vorliegen können". Die Kritik der IPPNW: "Das geht nun schon seit fast 40 Jahren so: Behörden und Gutachter schauen sich an, was geschehen ist und versuchen dann, genau den gleichen oder ähnlichen Störfall-Ablauf in der Zukunft auszuschließen. Das Problem ist aber, dass noch immer ständig neue und überraschende Störfall-Abläufe auftreten, mit denen weder die Atomkraftwerksbetreiber noch die Gutachter noch die Behörden zuvor gerechnet haben." Nach Pannen heiße es in den gutachterlichen Stellungnahmen lapidar, die Steuerung des Kraftwerks habe zwar "konzeptgemäß" gearbeitet, doch aufgrund "der besonderen Konstellation der Störung" sei es zum Ausfall eines sicherheitsrelevanten Systems gekommen.

Darüber hinaus würden Atomindustrie und Atomaufsicht auch immer wieder damit konfrontiert, dass Sicherheitssysteme für eine bestimmte Störfall-Situation zwar richtig konzipiert worden seien, diese aufgrund von falsch eingestellten Soll-Größen in der Steuerung aber dennoch versagten. "Da gibt es Fälle, dass Siemens falsch eingestellte elektrotechnische Komponenten geliefert hat. Da gibt es Fälle, dass sich Soll-Größen aus unbekannter Ursache oder aufgrund von Alterungserscheinungen verstellt haben. Und es gibt zahlreiche Fälle von Fehlern bei Wartungsarbeiten ", schreibt die IPPNW in einer Stellungnahme. Man könne hierbei noch nicht einmal den Arbeitern einen Vorwurf machen. "Es ist vielmehr das Management von RWE, E.On, Vattenfall, EnBW und Siemens, das - um Kosten zu sparen - bei den Wartungsarbeiten einen unglaublichen Zeitdruck ausübt und zum Teil auch nicht hinreichend qualifizierte Mitarbeiter beschäftigt."

Immer wieder müsse man sich die möglichen Folgen eines derartigen Versagens vor Augen führen. "Ein Super-GAU in einem derart dicht besiedelten Gebiet wie Rhein-Main wäre eine unvorstellbare Katastrophe. Ungleich mehr Menschen als in Tschernobyl würden an den Folgen sterben, Aufräumarbeiten wären faktisch unmöglich, die Deutsche Wirtschaft läge am Boden." Die IPPNW fordert das Bundesumweltministerium vor diesem Hintergrund dazu auf, die deutschen Atomkraftwerke vorsorglich abzuschalten.

BUND: Beinahe-GAU in Schweden lässt Atomträume der Energiekonzerne platzen

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat die Bundesregierung aufgefordert, den Atomaus­stieg_ zu beschleunigen und die gefährlichsten deutschen Atomreaktoren in Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel sofort abzuschalten. "Der Beinahe-Gau in Schweden führt die rosaroten Träume der Atomindustrie über ihre angeblich sichere Technik ad absurdum", so Brigitte Dahlbender vom BUND. "Wir fordern die Stromkonzerne auf, sich aus der Atomkraft zurückzuziehen." Zunächst müssten die riskantesten vier Reaktoren vom Netz.

Im Februar 2004 und im Oktober 2005 habe es in Biblis ebenso wie in Schweden Ausfälle der Notstromdieselaggregate gegeben. Wenn selbst schwedische Atommanager vom "schwersten Störfall seit Harrisburg und Tschernobyl" sprächen, müsse die Bundesregierung Konsequenzen ziehen. Die von den deutschen Stromkonzernen geplante Beantragung einer verlängerten Laufzeit ausgerechnet für "das störanfällige Atomkraftwerk in Biblis" müsse entschieden zurückgewiesen werden.

SPD: "Es ist deutlich geworden wie risikant Atomkraftwerke sein können"

Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Marco Bülow, sagte, die schwedischen Atomkraftwerke hätten "einen immens hohen Technologiestandard". Trotzdem habe "der Zwischenfall" deutlich gemacht, dass die Atomkrafttechnologie "doch nicht beherrschbar" sei. Zwar seien die Atomreaktoren mit einer Reihe von Sicherheitssystemen ausgerüstet, um zu verhindern, dass die bei der Kernspaltung entstehenden radioaktiven Stoffe in die Umwelt gelangten. Doch kein Atomkraftwerk sei völlig sicher. Jetzt sei deutlich geworden "wie risikant Atomkraftwerke sein können". Medienberichten zufolge sei das Atomkraftwerk in Forsmark über 20 Minuten ausser Kontrolle gewesen.

Die SPD-Bundestagsfraktion setze sich deshalb weiterhin "für den Atomausstieg" in der Bundesrepublik ein. Es dürfe nicht darüber diskutiert werden, Laufzeiten für Atomkraftwerke zu verlängern. "Jeder Tag, an dem wir uns dem unvermeidbaren Risiko, das jedes Atomkraftkraftwerk mit sich bringt, aussetzen, ist ein Tag zu viel", meint der SPD-Politiker. "Ein schwerer Störfall im dicht besiedelten Deutschland würde zu einer Katastrophe führen, die unermesslichen Schaden anrichten und ganze Landstriche für lange Zeit unbewohnbar machen würde."

Im so genannten "Atomkonsens" hatten sich SPD und Grüne im Jahr 2000 auf lange Laufzeiten mit der Atomwirtschaft geeignet, obwohl sie im Wahlkampf zuvor einen "schnellen Atomausstieg" versprochen hatten. Der Vereinbarung zufolge dürfen die deutschen Atomkraftwerke durchschnittlich mindestens 32 Jahre lang betrieben werden, obwohl sie auch damals schon wußten, "wie risikant Atomkraftwerke sein können". Im Vorfeld der Abstimmung im Deutschen Bundestag hatten sich damals viele Bundestagsabgeordnete über den immensen Druck beklagt, den die Atomindustrie auf die Politik ausübe.