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Joachim Gauck - PRO & CONTRA

Wenn Politik zur Reality Soap wird

Joachim Gauch und der Bundespräsident von Oliver Rückemann betrachtetDie künstlich inszenierte Empörungswelle der Wulff Affäre, mit ihren enthüllenden, aber keineswegs delikaten Details, wirkt so deplatziert wie das Dschungel Camp und andere Mechanismen, die den Pöbel mit Panem et Circenses (Brot und Spiele) versorgen. Die vermeintlich kritische Berichterstattung versäumt es ein weiteres Mal in großem Stil, sich Gedanken über Hintergründe eines solchen Kasperle-Theaters zu machen - oder vermeidet es doch zumindest tunlichst, darüber zu schreiben.

Der Sündenbock Christian Wulff wird dem aktualitätshungrigen Medienkonsument inzwischen seit Monaten mundgerecht serviert. Wobei sich die Berichterstattung in ihrem Niveau immer mehr der Bild-Zeitung genähert und selbst ad absurdum geführt hat. Es hätte nicht verwundert, wenn noch eine Schlagzeile über Bremsspuren in Wulffs Unterhosen aufgetaucht wäre. Aber vielleicht kommt das noch. (Anmerkung: Hier kann auch ein anderer Satz stehen - es soll nur die Niveaulosigkeit bebildert werden)

Rückblick

Doch was steckt hinter dieser öffentlichen Hinrichtung, die substanziell eher an das Prügeln eines kleinen Jungen erinnert und wirkliche Relevanz schmerzlich vermissen lässt? Oft ergeben sich die nicht sichtbaren Hintergründe aus den Effekten, die eine Situation erzeugt. Als die Wulff Affäre begann, stand insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel durch ihr Versagen in der Euro-Rettung hart in der Kritik - wie auch ihr mit jeder Aktion in drastischere Unfähigkeit verfallendes Mental-Wachsfiguren-Kabinett, das sie in Form ihrer Minister um sich schart. Auch die vorherige Debatte über Laufzeitverlängerungen und Atomausstieg hatte ihr Image empfindlich angegriffen. Die Wahldesaster in Baden-Würtemberg und Berlin waren sehr klar Reaktionen auf diese Debakel. Diese Entwicklung hat sie in ihrer vorherigen Amtsperiode bereits erlebt, als 2006 in einer Forsa-Umfrage ihre Beliebtheit rapide abnahm, nachdem die damalige große Koalition über die Gesundheitsreform stritt. Zu dieser Zeit rangierte im Übrigen der damals designierte Bundespräsident Wulff auf Rang drei der Beliebtheitsskala. Aber wie im alten Rom und in den Musik-Charts werden die am schnellsten an den Pranger gezwungen, die vorher am beliebtesten waren.

Die Gewinner

Zweifellos hat Kanzlerin Merkel aus der Wulff Affäre in großem Stil Kapital geschlagen, da sie inzwischen durch ihre persönliche Popularität die Beliebtheit der Union wieder auf 38% angehoben hat. Ein Monument für die Generalamnesie, die offensichtlich in großen Teilen der deutschen Bevölkerung herrscht. Vergessen ist die zum Teil skandalöse Politik, vergessen sind die systematischen Lügen und Gegenlügen nicht zuletzt der Laufzeitverlängerungsdebatte noch Ende 2010.

Der so genannte Atomausstieg bis 2022 hat es in der Tat geschafft, einen großen Teil der Bevölkerung ruhig zu stellen. Die Occupy-Bewegung in Deutschland war von Anfang an ein zahnloser Tiger, der heute ein paar sympathischen Aussteigern eine neue Heimat in den öffentlichen Parkanlagen Frankfurts und anderer Orte vermittelt hat, nebst solidarischer Aufmerksamkeit der Bevölkerung. Da führt uns das Großkapital am Ende doch zu einander.

Kein Wunder, dass eine solche Bewegung von dem nun als Konsenskandidaten beschriebenen Joachim Gauck nicht ernst genommen wird. Genau genommen zeigt seine Nominierung und dessen Vorspiel, dass die Regierung das gesamte deutsche Volk nicht ernst nimmt. Durch Gauck wird im Gegenteil der Weg zu einer neuen großen Koalition geebnet, da dessen Sympathie für Thilo Sarrazin - der diese ausdrücklich erwidert - hegt und vor allem für Kanzlerin Merkel ein Gewinn ist. Auch wenn sie dies in der Presse nach Kräften dementiert, sich sogar gegen Gauck ausgesprochen hat. Aber Dementi sind ein Alltagsmittel in der Politik. Ein Alltagsmittel, das nach wie vor gute Dienste leistet. Gauck ist ganz und gar auf Merkels konservativer Linie und spielt ihr sehr klar in die Hände. Auch die SPD hat etwas von diesen Entwicklungen, da eine Annäherung mit der CDU wieder die Chancen auf eine große Koalition steigen lässt. Vorbei sind die Skandale der jüngsten Vergangenheit, an die sich ohnehin nur ein kleiner, nach Kräften ignorierter Teil der Wählerschaft erinnern kann. Zu Guttenberg ist unschädlich auf einer Position in der EU geparkt, Seehofer genießt eine Art Generalamnestie und die FDP ist ohnehin kein Thema mehr. Für die SPD wäre eine Schwarz/Grüne Koalition ganz sicher ein herber Rückschlag gewesen. Aber der Fall Gauck wird hier für die nötige Kurskorrektur sorgen. Mit dieser Besetzung wird ganz sicher spätestens nach der nächsten Bundestagswahl, die SPD und Union trotz massiver Skandale und Handlungsfehler mit hoher Wahrscheinlichkeit für sich entscheiden werden, das Thema Atomkraft zur Debatte stehen.

Dass mit der Wahl von Joachim Gauck zwei Ostdeutsche mit theologischem Hintergrund Deutschland vorstehen, könnte nicht bedrückender sein. Denn dieses Gespann wird Deutschland ganz sicher nicht in der Manier eines Martin Luther führen. Die einzigen Revolutionen, die hier zu erwarten sind, beschränken sich auf noch mehr Begünstigung der Großwirtschaft zu Lasten des Mittelstandes.

Wiederholungsmuster

Das tragische an diesen Entwicklungen ist, dass sie die grunsätzliche Lernunfähigkeit in der breiten Bevölkerung stichhaltig dokumentiert. Das Muster ist hier immer dasselbe. Die konservativen Kräfte gewinnen eine Wahl mit zum Teil halsbrecherischen Versprechen, deren Nichteinhaltung bereits als noch vor dieser gewonnnen Wahl evident dokumentiert ist - frei zugänglich im Internet. Nach der gewonnen Wahl werden die eigentlichen Versprechen an die Großwirtschaft, wie die Laufzeitverlängerung und andere erhebliche Zugeständnisse an deren Sonderstellung und Privilegien, eingelöst. Man muss ja auch an die Zahl nach der Abwahl denken, wie besonders die ehemaligen Minister Roland Koch und Steffan Mappus (beide CDU) eindrucksvoll dargestellt haben. Selbst diese Form der legalen Korruption, wie sie so trefflich von Hermann Scheer genannt wurde, dient nur zu einer kurzen, flüchtigen Empörung - wenn überhaupt. Dass für die Durchsetzung dieser Versprechen sämtliche demokratischen Mechanismen im Zweifel einfach umgangen oder ausgehebelt werden, fällt einem Großteil der Bevölkerung nicht weiter auf.

Zeitlich sind diese Vorgehen sehr akurat terminiert. Sie laufen bis an den Anfang des dritten Wahljahres hinein. Genug Zeit, um mit viel Marketing den verdient beschädigten Ruf wiederherzustellen. Im Falle Merkel war sehr klar zu beobachten, wie sie mit gezielten Versprechen einen Stammwählerkreis nach dem anderen wieder auf ihre Seite gezogen hat. Erhöhung der Renten auf der einen Seite, Steuersenkungen und andere kleine Privilegien auf der anderen. Dass die Erfüllung solcher Versprechen in der Regel an bürokratischen Hürden scheitern - die im Falle einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke merkwürdiger Weise nicht vorhanden waren - erinnert offensichtlich niemand.

Hier wie an so vielen anderen Stellen erleben wir eine Wählerschaft, die sich nur allzu gerne denen unterordnet, die sie bewiesener Maßen schädigen. Mit Begriffen wie Intelligenz oder Dummheit allein ist dieses Phänomen nicht zu erklären. Es sind Ergebnisse des Anpassungsprozesses, der uns Menschen immer wieder dazu bringt, sich mit dem Aggressor zu identifizieren, wie Arno Gruen es ausdrückt. Also für den Partei zu ergreifen, der im Grunde schlecht für das eigenen Wohl ist. Zumal die Politik hier sehr klar von der sehr weit verbreiteten Ignoranz profitiert. Eine Ignoranz, gefördert durch die neueste Staffel von "Germanys next Topmodel" und "Deutschland sucht den Superstar".

Die Debatte um Joachim Gauck trumpft hier mit der völlig belanglosen Diskussion um seine wilde Ehe auf. Offensichtlich soll der deutschen Bevölkerung suggeriert werden, dass das unsere Probleme sind.

Aber es gibt keinen Grund sich zu beschweren. Wenn wir diese Besetzung immer wieder wählen, dürfen wir uns hinterher auch nicht beklagen, wenn wir die Last ihren Entscheidungen zu tragen haben. Noch haben wir die Wahl. Es bleibt abzuwarten, ob das so bleibt, wenn unserer Menschen- und Bürgerrechte weiter auf Raten beschnitten werden.

Oliver Rückemann

Seit mehr als 11 Jahren freier Berater - Autor des Buches "Ökolution 4.0 - WIrtschaftliche und gesellschaftliche Imperative in Zeiten ökologischer und ökonomischer Krisen"

Quellen:

Forsa Umfrage und Merkels Beliebtheit
http://www.focus.de/politik/deutschland/popularitaet_aid_116...

Merkel sorgt für Umfragenhoch
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/wahltrend-me...

Sarrazin überschüttet Gauck mit Lob
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,816683,00.h...