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Lafontaines Abrechnung mit Steinbrück

"Regierende gaben Spekulanten grünes Licht"

Die aktuelle Finanzmarktkrise wird nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) weltweit noch auf Jahre Wirtschaft und Arbeitsmarkt prägen. Auch dürften die USA, die im Zentrum der Krise stünden, ihren Status als "Supermacht des Weltfinanzsystems" verlieren, sagte Steinbrück am Donnerstag (25. September) im Bundestag. Linke und Grüne forderten stärkere Kontrollen der internationalen Finanzsysteme. Ex-Bundesfinanziminster und Links-Fraktionschef Oskar Lafontaine kritisierte, die Regierenden hätten den Spekulanten "grünes Licht gegeben". Lafontaine rechnete mit der Politik der vergangenen Jahre ab, als alle geglaubt hätten, die internationalen Finanzmärkte würden schon alles richten.

In seiner Regierungserklärung sagte Steinbrück, die Spareinlagen der Bürger in Deutschland seien sicher. Zwar habe man in den vergangenen Wochen "eine weitere Zuspitzung der schlimmsten Bankenkrise seit Jahrzehnten erlebt", doch habe das internationale Krisenmanagement funktioniert.

Als eine dauerhafte Konsequenz regte Steinbrück an, den Internationalen Währungsfonds IWF zur Kontrollinstanz der internationalen Finanzmärkte zu machen. Zudem müsse einem ungezügelten "Renditerennen" Einhalt geboten werden, das zum Zusammenbruch der Märkte führe.

Zu Beginn der mehrstündigen, teils hitzigen Debatte hatte sich Steinbrück für "neue Verkehrsregeln" im Finanzmarkt" ausgesprochen. Neben mehr Eigenkapital der Banken gehörten dazu eine stärkere persönliche Haftung der Verantwortlichen und ein engerer Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite. Schließlich sollte es zu einem Verbot rein spekulativer Leerverkäufe kommen, mit denen Anleger auf sinkende Kurse eines Unternehmens setzen.

Die Grünen sahen in der Bankenkrise ein grundlegendes gesellschaftliches Problem. "Gescheitert ist eine neoliberale Konzeption", sagte Fraktionschef Fritz Kuhn. 20 Prozent und mehr an Rendite, die ein "perpetuum mobile" einer finanzmarktgetriebenen Ökonomie versprochen habe, hätten sich als Illusionen erwiesen. Da die Risiken nicht auf jene zurückschlügen, die sie eingegangen sind, sei eine Börsenumsatzsteuer nötig. Die Politik müsse hier andere Rahmenbedingungen setzen.

Solms: Staatsversagen, kein Marktversagen

Der FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms zollte Steinbrück Respekt für dessen Analyse der Finanzmarktkrise. Allerdings sähen die Liberalen im Gegensatz zum Minister kein Markt-, sondern ein "Staatsversagen" gerade in den USA. Die US-Zentralbank habe "zu lange zu viel billiges Geld zur Verfügung gestellt". Die Risiken seien dann weltweit gestreut worden. In Deutschland hätten auch staatliche Banken bei diesen unsicheren Kreditpaketen zugegriffen, was zu einem milliardenschweren, steuerfinanzierten Schutzschirm unter anderem bei der IKB geführt habe.

Meister: Frage nach neuen Regeln für Finanzmärkte

Unions-Fraktionsvize Michael Meister (CDU) sagte, es müsse schon die Frage beantwortet werden, wie die immer unsicheren Finanzmärkte neuen Regeln unterworfen werden. "Insofern liegt in der Krise auch eine Chance." Da Deutschland heute in einer wesentlich robusteren Verfassung dastehe als zu Beginn der großen Koalition vor drei Jahren, gebe es trotz der Krise keinen Grund für Panikmache. Zugleich verteidigte Meister die Rettung der IKB, da ansonsten ein Dominoeffekt eingesetzt hätte.

Lafontaine: Wir haben keine soziale Marktwirtschaft mehr aufgrund des Regimes der internationalen Finanzmärkte

Lafontaine warnte davor, die Krise auf den Bankensektor zu verengen. Es gehe nicht um eine ökonomische Krise, sondern um eine Krise der geistigen und moralischen Ausrichtung der westlichen Gesellschaft. "Wir haben keine soziale Marktwirtschaft mehr aufgrund des Regimes der internationalen Finanzmärkte", sagte er. Eine Folge sei die zunehmende Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, die heute die Alterssicherung von Millionen Menschen bedrohe.

Lafontaine erinnerte daran, dass im Jahr 1996 Bundesbankpräsident Tietmeyer vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt hätte: "Meine Herren, Sie alle sind jetzt der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte unterworfen." Lafontaine dazu: "Wenn heute ein Bundesbankpräsident so etwas sagte, würde er wahrscheinlich gleich in eine Heilanstalt eingeliefert werden. Aber damals wurde diese Aussage mit großem Beifall von allen Versammelten aufgenommen." Sie habe auch großen Anklang in der deutschen Öffentlichkeit gefunden. Die damalige Überzeugung und Auffassung sei tatsächlich gewesen, "dass die internationalen Finanzmärkte alles richtig regeln, dass sie die richtigen Findungsprozesse in Gang setzen werden, während die Politik nichts anderes zu tun hat, als diesen Findungsprozessen Rechnung zu tragen und ihnen zu folgen."

Auch Joschka Fischer habe in den damaligen Auseinandersetzungen gesagt: "Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ihr Politik gegen die internationalen Finanzmärkte machen könnt!" Für Lafontaine sind die Aussagen von Tietmeyer und Fischer Beleg dafür, "in welchem Ausmaß man sich damals geirrt hat und wie sehr die Fehlorientierung der Politik durch die internationalen Finanzmärkte erzwungen wurde." Dieser Prozess sei "eine Verabschiedung von der Demokratie und vom Sozialstaat" gewesen, so Lafontaine. "Die Folgen tragen wir alle heute."

Demokratie sei nicht nur der regelmäßige Gang zur Wahlurne. Demokratie sei nach klassischer Definition eine "gesellschaftliche Ordnung, in der Entscheidungen so getroffen werden, dass die Interessen der Mehrheit bei den Entscheidungen berücksichtigt werden", so Lafontaine. "Genau dies ist nicht eingetreten, sondern das glatte Gegenteil. Deshalb ist die Demokratie nachweislich verabschiedet worden."

"Das glatte Gegenteil besteht in dem, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen, nämlich dass die Reallöhne, die Renten und die sozialen Leistungen - das ist ein einmaliger Vorgang - trotz einer wachsenden Wirtschaft und der Prozesse, die ich hier nur kurz ansprechen kann, fallen", sagte Lafontaine an Steinbrück gewandtd. "Inhaltlich wird die große Mehrheit der Menschen nicht mehr an der wachsenden Wirtschaft beteiligt. Wir haben aufgrund des Regimes der internationalen Finanzmärkte keine soziale Marktwirtschaft mehr."

Das Problem sei, dass fast täglich auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen gestanden hätte, dass Unternehmen und Banken eine Kapitalrendite von 25 Prozent anstrebten. Lafontaine zu Steinbrück: "Sie haben das jetzt als schizophren bezeichnet. Herr Bundesfinanzminister, Sie hätten früher sagen müssen: Das ist verrückt. Das einfache Beherrschen der Prozentrechnung hätte zu der Überlegung führen können, dass dann, wenn der ganze Kuchen nur um 2 bis 3 Prozent größer wird, nicht manche Kuchenstücke um 25 Prozent größer werden können."

Es hätte eine Elite gegeben, "die völlig durchdrehte", so Lafontaine. Für einfach Bürger sei es unmöglich, von einer Bank für 3000 Euro eine Verzinsung von 25 Prozent zu verlangen. "Wenn aber Herr Ackermann oder sonst jemand so etwas sagt, dann wird Beifall gespendet", so Lafontaine mit Blick auf Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann. "Dies ist Ausdruck der moralischen Verwerfung unserer Gesellschaft."

Lafontaine hielt auch den Abgeordneten im Deutschen Bundestag ihre Reden von gestern vor: "Es wurde doch auch hier in diesem Parlament immer wieder gesagt: Wer nicht so oder so handelt, den bestrafen die Märkte. Man müsste einmal googlen, um herauszufinden, wie viele von Ihnen oder wie viele frühere Kolleginnen und Kollegen immer wieder gesagt haben: Wer nicht Sozialabbau betreibt, den bestrafen die internationalen Finanzmärkte. Das war die ständige Rede in vielen Parlamenten, auch im Deutschen Bundestag."

Dem Bundesfinanzminister warf Lafontaine vor, immer noch keine Lehren aus dem aktuellen Debakel gezogen zu haben, wie dessen Haushaltsrede zu entnehmen sei. "Dort reden Sie in einer Situation man fasst es nicht, in der der amerikanische Finanzminister Sie haben das richtig dargestellt 5 Prozent des Sozialproduktes einsetzen muss, um die Märkte zu stabilisieren, von einer weiter sinkenden Staatsquote." Steinbrück werde sich mit dieser Prognose lächerlich machen, so Lafontaine. "Eine weiter sinkende Staatsquote das ist die Sprache der internationalen Finanzmärkte, die Sie in Ihrer Haushaltsrede gebrauchten; denn deren Credo ist: Je weiter die Staatsquote sinkt, umso besser geht es den internationalen Finanzmärkten."

Das Hauptproblem sei aufgrund des Imperativs der internationalen Finanzmärkte die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme, so Lafontaine. "Ich wiederhole hier: Privare heißt berauben. Die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme hat dazu geführt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Rentnerinnen und Rentner erhebliche Verluste in Kauf nehmen müssen. Wie man auf so etwas stolz sein kann, entzieht sich unserer Kenntnis. In dem gleichen Zuge hat man dann die Sicherheit, nach der jetzt wieder gerufen wird, nämlich die staatlich garantierte Rente immer mehr in Misskredit gebracht und erzählt:

Nur dann, liebe Rentnerinnen und Rentner, wenn ihr den internationalen Finanzmärkten vertraut und wenn ihr euch privat versichert, werdet ihr die Kapitalrenditen haben, mit denen ihr euren Lebensabend gestalten könnt. Das war doch die Philosophie, nach der hier die Rentengesetzgebung erfolgt ist. Sie wollen alles das heute nicht mehr wahrhaben, aber es ist eine Tatsache."

"Blankoscheck"

Die Linksfraktion im Bundestag will dem Rettungspaket der Bundesregierung zur Eindämmung der Auswirkungen der Finanzmarktkrise nicht zustimmen. Das kündigte Fraktionschef Oskar Lafontaine am Dienstag (14. Oktober) in Berlin an. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei ein "Blankoscheck" hinsichtlich der "Verwendung der vielen Milliarden" Euro. Auch weigere sich die Regierung, "den Weg der Verstaatlichung" zu gehen. Wenn Geld des Steuerzahlers gegeben werde, müsse er aber auch "mitbestimmen können in Form der Beteiligung".

Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn forderte Korrekturen an dem Rettungspaket. Er warf der Regierung vor, sich vor einer Teilverstaatlichung bei wirklich angeschlagenen Banken zu scheuen. Zugleich kritisierte er ebenfalls, dass das Paket eine "pauschale Ermächtigung" für das Finanzministerium darstelle und einen "Blankoscheck" des Bundestages über zunächst 100 Milliarden Euro bedeute.

Kuhn sprach von einem "Entmachtungsgesetz der parlamentarischen Demokratie und des Haushaltsrechts" des Bundestages. Seine Fraktion werde daher am Mittwoch im Haushaltsausschuss mehr parlamentarische Kontrolle beantragen.

Er hoffe, dass die Regierung sich in diesen beiden Punkten gesprächsbereit zeige, so Kuhn. Wenn sie wolle, dass das Paket "breit getragen" wird, müsse sie solche Forderungen aufgreifen.

FDP-Chef Guido Westerwelle sagte zwar ebenfalls, es dürfe keinen Blankoscheck zu Lasten der Steuerzahler geben, kündigte aber keinen Widerstand an. Nur: Die FDP werde sehr sorgfältig auf die Verwendung der Staatsgelder achten. Sie müssten für die Bürger eingesetzt werden und dürften nicht Bankmanagern, die "falsch gearbeitet haben, hinterher geworfen werden".

"Die Sicherung der Banken mit Steuer-Milliarden kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Bundesregierung zugleich alles tut, damit die Wirtschaft nicht einbricht", so Links-Fraktionschef Lafontaine. Deutschland brauche jetzt ein Konjunkturprogramm. "Niemand könnte fast eine halbe Billion an Steuergeldern für Banken rechtfertigen, die sich im weltweiten Finanzcasino verzockt haben, und gleichzeitig massive Arbeitsplatzverluste durch eine Rezession in Kauf nehmen, ohne dagegen etwas unternommen zu haben."

Die Bundesregierung verlasse endlich "den Irrweg der unabgestimmten Einzelfalllösung" und versuche, sich den Herausforderungen der Komplexität der internationalen Finanzkrise zu stellen, so Lafontaine. Dabei sei es richtig, das Interbankengeschäft durch Garantien zu stützen, so dass Geldkreislauf und Kreditvergabe wieder in Gang kämen.

Ebenso richtig sei die Bereitstellung von zusätzlichem Eigenkapital. "Das aber kann es nur gegen eine Gegenleistung der Banken geben", fordert Lafontaine. "Wo der Steuerzahler sich engagiert, muss der Staat an den Banken beteiligt werden. Nur das sichert wirklich die Möglichkeit, Entscheidungen der Banken mitzubestimmen."

Nach diesem ersten Schritt müsse die Bundesregierung schnell die nächsten gehen. "Ohne Anstrengungen, um die Konjunktur anzukurbeln, bleibt der Bankenschirm löchrig", meint der Links-Politiker. Dazu müsse in erster Linie die Binnenkaufkraft gestärkt werden – "durch eine Abkehr von der Niedriglohnspirale, durch einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,71 Euro wie in Frankreich, durch eine Anhebung der Renten und des Hartz IV-Regelsatzes. Darüber hinaus brauchen wir ein Investitionsstützungsprogramm durch ein Vorziehen öffentlicher Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie durch die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung mit Sonderabschreibungsmöglichkeiten im ersten Jahr."

Die "Einkommens- und Vermögensgewinner" der letzten Jahre, deren Renditeerwartungen nach Auffassung von Lafontaine "nicht wenig zum Finanzchaos beigetragen haben, sollten mit einer Millionärssteuer zur Finanzierung der Bewältigung der Krise herangezogen werden".

Am 14. Okt. 2008