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Kapitalisten diskutieren Kapitalismus-Kritik

In der Defensive

Die Kapitalismus-Debatte entzweit offenbar die Wirtschaft. Der frühere Chef und jetzige Vizepräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, distanzierte sich am vergangenen Donnerstag von Aussagen seines Nachfolgers Jürgen Thumann zu diesem Thema. "Der BDI sollte sich deutlich gegen populistische Kritik an den Unternehmen stemmen und nicht in die Musik der Weichmacher einstimmen", sagte Rogowski der "Berliner Zeitung". Thumann hatte dagegen am Wochenende zuvor eine "Mitverantwortung" der Wirtschaft "an der aktuellen Debatte" eingeräumt. BDI-Vizepräsident Diether Klingelnberg warnte jetzt BDI-Präsident Thumann vor einer Spaltung des Arbeitgeberlagers. "Wir dürfen uns nicht auch noch gegenseitig auseinanderdividieren", sagte er. Er sei überrascht über die Äußerungen Thumanns. Zahlreiche öffentlichen Äußerungen lassen erahnen, wie heftig es hinter den Kulissen kracht.

"Wir Unternehmer haben ein Glaubwürdigkeitsproblem", hatte der amtierende BDI-Chef gesagt. Die Unternehmer müssten stärker als bisher durch vorbildliches Verhalten wirken und sich der sozialen Verantwortung stellen, bevor sie Arbeitsplätze abbauen, so Thumann. "Wenn jemand auch langfristig ausreichende Gewinne erwirtschaftet und trotzdem damit beginnt, Produktion zu verlagern, kann ich das nicht nachvollziehen."

Die Glaubwürdigkeitskrise der Unternehmen hat laut Thumann auch mit Fehlern in Ostdeutschland zu tun: "Wir haben zu schnell abgebaut, wir haben nicht ernsthaft genug geprüft, ob wir sie nicht doch erhalten, sanieren und aufbauen können. Im Rückblick hätten wir mehr retten können als wir gerettet haben."

"Debatte um Gestaltungsmöglichkeiten der Politik"

Auch der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Dietrich H. Hoppenstedt, hatte Verständnis für die Kritik am Verhältnis von Kapital und Arbeit geäußert. "Diese Diskussion müssen wir führen", sagte Hoppenstedt der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "Die Welt". Die Diskussion sei im Kern "eine Debatte um die Verantwortung von Unternehmern und um die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik in einer globalisierten Welt."

Es gehe darum, Managern deutlich zu machen, dass sie auch eine Verantwortung für ihr gesellschaftliches Umfeld haben, sagte Hoppenstedt. "Sie können sich nicht nur auf Renditemaximierung beschränken." In Deutschland stehe eine grundsätzliche Debatte auf der Tagesordnung. "Die Sorgen Münteferings werden auch in weiten Teilen der mittelständischen Wirtschaft geäußert", erklärte der Sparkassen-Präsident.

Die Verengung des Blickfeldes nur auf maximalen Profit löse bei den Menschen zu Recht Unverständnis aus, so Hoppenstedt. Viele mittelständische Unternehmer zeigten, dass man Wettbewerbsfähigkeit und soziale Verantwortung durchaus miteinander verbinden könne. Einige Konzernlenker in Deutschland erweckten dagegen den Eindruck, dass ihnen das notwendige soziale Gespür fehle.

Bayer-Vorstandschef Chef Werner Wenning erneuerte dagegen seine Kritik an den Angriffen aus der SPD. "Wenn Müntefering überkommene Klassenkampfparolen aufwärmt und einen Streit vom Zaun bricht, ist das nicht hilfreich", sagte der Manager in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Ich kann nicht erkennen, welchen positiven Beitrag diese Aussagen für den Veränderungsprozess in Deutschland leisten sollen."

"Wir brauchen ein global erfolgreiches Bankinstitut"

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG, Heinrich von Pierer, beklagte in einem Gastkommentar für die "Financial Times Deutschland" dass es schon schwarze Listen mit ausländischen Investoren gebe - "sie sind die neue Heuschreckenplage, wie es heißt. Und asozial sind die, die gut verdienen und dennoch keine neuen Arbeitsplätze in unserem Land schaffen", empört sich der Siemens-Manager. "Der Preis muss stimmen, sonst läuft nichts", so von Pierer. "Die Welt um uns herum bewegt sich ganz anders, als wir es wahrhaben wollen. Es gibt keinen Weg zurück zur Idylle unter dem Mond von Wanne-Eickel."

Schließlich setzte sich der Siemens-Manager für die eng verbundene Deutsche Bank ein. "Also: Bitte nicht ablenken von den eigentlichen Problemen unseres Landes. Auch nicht mit überzogener Kritik an der Deutschen Bank. Wir brauchen ein global erfolgreiches Bankinstitut", so von Pierer. "Das wird die Deutsche Bank aber nur, wenn sie ihre Erträge deutlich steigert und darauf aufbauend organisch und durch Akquisitionen weiter wächst. So wie es ihre weltweiten Konkurrenten vormachen. Herrn Ackermann zum Buhmann der Nation machen zu wollen ist erbärmlich."

"Unser timing war nicht optimal"

Der Chefvolkswirt der einflussreichen Deutschen Bank, Norbert Walter, möchte in der Diskussion allenfalls ein "Vermittlungsproblem" anerkennen. In einem Interview für die "Schwäbische Zeitung", die "Aachener Zeitung" und die "Bremer Nachrichten" vom 15. April äußerte er sich zur Ankündigung der Großbank, trotz Rekordgewinnen 6000 Stellen abbauen zu wollen, um die Eigenkapitalrendite auf 25 Prozent zu heben. "Unser timing und die Art, wie wir unser Handeln vermittelt haben, waren nicht immer optimal", so Walter.

Dass die Politik den großen Konzernen mit einer Senkung der Körperschaftsteuer auf 19 Prozent im internationalen Wettbewerb unter die Arme greifen möchte findet Walter hingegen "in Ordnung". BDI-Präsident Thumann stellte am 22. April sicherheitshalber die Frage an Bundeskanzler Gerhard Schröder, ob die geplante Steuersenkung für Unternehmen jetzt auch als asozial gelte. Und: "Ist es auch asozial, wenn Unternehmer den Bundeskanzler oder den Wirtschaftsminister bei Auslandsreisen begleiten?"

"Heuschrecken-Vergleich spricht Menschen das Menschsein ab"

Das "Handelsblatt" und die "Rheinische Post" versuchen jetzt mit brachialen Mitteln die Diskussion abzuwürgen. Der Historiker Michael Wolffsohn habe SPD-Chef Franz Müntefering vorgeworfen, "in seiner Kapitalismuskritik gegen Unternehmer zu hetzen wie einst die Nationalsozialisten gegen Juden" schreibt das Handelsblatt unter Bezugnahme auf einen Gastbeitrag in der "Rheinischen Post". Müntefering spreche mit seinem Heuschrecken-Vergleich "Menschen das Menschsein" ab, so der Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. "60 Jahre 'danach' werden heute wieder Menschen mit Tieren gleichgesetzt, die - das schwingt unausgesprochen mit - als 'Plage' vernichtet, 'ausgerottet' werden müssen", heißt es in dem Beitrag von Wolffsohn. "Heute nennt man diese 'Plage' oder 'Heuschrecken', damals 'Ratten' oder 'Judenschweine'."

Wolffsohn hatte Anfang Mai vergangenen Jahres mit umstrittenen Äußerungen zum Thema Folter erheblichen Wirbel verursacht. In einem Interview hatte er gesagt, als eines der Mittel gegen Terroristen halte er Folter oder die Androhung von Folter für legitim.

Der Unternehmensberater Roland Berger zog unlängst ein anderes Register, um die Diskussion zum Stillstand zu bringen. Er warnte davor, der Antikapitalismus könnte eine neue Terroristenbewegung provozieren: "Wenn Unternehmenspersönlichkeiten öffentlich verurteilt werden, muss man sich nicht wundern, wenn irgendwelche Verrückten schließlich RAF spielen."

"Die Menschen haben Angst und keine Zukunftsvisionen mehr"

Von derlei Befürchtungen wenig beeindruckt sieht Porsche-Vorstandschef Wendelin Wiedeking in der Diskussion nicht nur ein "Vermittlungsproblem", sondern einen ernstzunehmenden Diskussionsgegenstand. Explizit teilt der Spitzenmanager verbale Angriffe gegen einzelne Konzerne. "In der sozialen Marktwirtschaft müssen wir einen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit finden, und dieses Bemühen lassen viele Unternehmen heute vermissen", sagte Wiedeking der Wochenzeitung "Die Zeit". Wenn der Papst Kapitalismuskritik übe, "bekommen alle glänzende Augen und jubeln ihm zu." Also müsse eine solche Kritik auch Politikern gestattet sein.

Wiedeking beklagte, die Menschen hätten Angst und keine Zukunftsvisionen mehr. "Das kann auch nicht anders sein, wenn der Deutsche-Bank-Chef ein Spitzenergebnis verkündet und für die Verbesserung dieses Ergebnisses den Rausschmiss von 6000 Mitarbeitern hinterher schiebt." Ausdrücklich bekannte sich der Porsche-Chef zur gesellschaftlichen Rolle der Unternehmer: "Wir haben nun mal ein hohes Maß an sozialer Verantwortung mit übernommen." Die Presse müsse kritischer mit Unternehmern umgehen, "denen nichts anderes einfällt, als Menschen zu entlassen. Diese Leute haben nichts verstanden."

"Anarchische Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht"

Sehr viel früher als der SPD-Chef und jenseits von Wahlterminen hat der ehemalige Bundesminister Heiner Geißler das jetzige Wirtschaftssystem schon seit Jahren kritisiert, wie er selbst unter Verweis auf seine jüngsten Bücher sagt. Den Menschen zeige sich die "hässliche Fratze eines unsittlichen und auch ökonomisch falschen Kapitalismus", da Börsenwerte und Managergehälter stiegen, wenn Zehntausende von Menschen in den Unternehmen wegrationalisiert und anschließend mit Hilfe der Politik auf die unterste Sprosse der sozialen Stufenleiter befördert werden würden, schrieb Geißler beispielsweise im November 2004.

"Unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes" redete die Wirtschaftswissenschaft "einer anarchischen Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht, das Wort". "Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus", sagte Geißler am Montag im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Die lange Zeit ungewohnte Kritik geht den Managern sichtlich an die Nerven. "Ich finde es zum Kotzen, was derzeit in dieser Republik abläuft", empörte sich Arbeitgeberpräsident Hundt kürzlich im ZDF. "Anstatt daß wir uns mit unseren bestehenden Problemen beschäftigen, reden wir von Heuschreckenplagen, von Raubtierkapitalismus, von asozialem Verhalten und dergleichen mehr", erregte sich der Chef des Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.