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Diskussionen um Forderungen der Ärzte

"Ausbeutungskampagne"

Der Deutsche Pflegerat wirft den streikenden Ärzten überzogene Lohnforderungen vor. Die Präsidentin des Verbandes, Marie-Luise Müller, warf den Klinikärzten am Freitag im Südwestrundfunk eine "schreiende Ausbeutungskampagne" vor. Sie kritisierte, bei den Protesten gehe es "um die Funktionäre und nicht um den einzelnen Arzt". Falls der Marburger Bund seine Forderung nach 30 Prozent mehr Lohn durchsetzen sollte, würden Krankenschwestern und Pfleger "zu den Verlierern" der Tarifauseinandersetzung gehören. Das zusätzliche Geld zu sparen für die Mediziner würde dann so eingespart, dass der bislang "schleichende Personalabbau im Pflegebereich nun massiv und dramatisch zunehmen" würde, so Müller. Der Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes, Armin Ehl, wies auf Anfrage von ngo-online die Kritik des Pflegerates zurück. "Wir arbeiten nicht gegen den Bereich Pflege", so Ehl. Der Marburger Bund vertrete die Ärzte und trete daher für deren Interessen ein. Der Pflegebereich müsse sich gegebenenfalls für weitere Forderungen an seine Gewerkschaft wenden. Dennoch sei man "wie auch in der Vergangenheit durchaus solidarisch mit dem Pflegebereich", so Ehl. Keine Krankenschwester und kein Pfleger würde aufgrund der Forderungen der Ärzte "einen müden Euro weniger" bekommen.

Der Marburger Bund wirft Arbeitgebern und Politikern "Propaganda" vor. Mit einem "Faktenpapier" wehrt sich der Verband gegen verschiedene Vorwürfe. So etwa gegen die Darstellung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, dass die Forderung der Ärzteschaft zehn Milliarden Euro kosten und die Beitragssätze dadurch um einen Prozentpunkt steigen würden.

Nach Auffassung des Marburger Bundes vermischt Schmidt hierbei "die tarifpolitische und die gesundheitspolitische Situation" und schüre damit unnötigerweise Bürgerängste. Würde man die 30-Prozent-Forderung der Klinikärzte eins zu eins umsetzen, hätte das nach Darstellung der Ärztegewerkschaft Kosten in Höhe von rund drei Milliarden Euro zur Folge. Dies entspreche einer Beitragssatzsteigerung von maximal 0,3 Prozentpunkten.

Da der Marburger Bund bei den Verhandlungen aber "alte Tarifdogmen über Bord geworfen und den Arbeitgebern eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten angeboten" habe, würden die Folgekosten nicht annähernd drei Milliarden Euro betragen.

Der Marburger Bund setzt sich in seinem "Faktenpapier" auch mit dem Vorwurf der Arbeitgeber auseinander, dass nach ihrem Gehaltsmodell die Klinikärzte bis zu 50 Prozent mehr Einkommen erhalten würden. Dies sei "blanker Unsinn". Zu keinem Zeitpunkt der Tarifverhandlungen habe es von Arbeitgeberseite ein offizielles Angebot über zukünftige Ärzteeinkommen gegeben. Es seien lediglich mündlich Zahlen vorgetragen worden, "die auf einer 42-Stundenwoche basieren", schreibt der Marburger Bund. Demnach solle ein Lohnausgleich für die Arbeitszeiterhöhung aber nur ab der 40. Stundenwoche und nicht ab der 38,5 Stundenwoche gezahlt werden. "Faktisch läuft das Arbeitgeberangebot also auf eine Minusrunde für Ärzte hinaus.

Regierung und Arbeitgeber: 46 Wochenstunden und 1.978 Euro netto?

Der Marburger Bund hält auch die Angaben des Bundesgesundheitsministeriums und der Deutschen Krankenhausgesellschaft hinsichtlich der Arbeitszeit und der Einkommen für unseriös. Diese behaupteten, dass deutsche Klinikärzte maximal 46 Stunden in der Woche arbeiten und dass ihr monatliches Nettoeinkommen mit durchschnittlich 1.978 Euro gar nicht schlecht sei. Diese Behauptungen stützten sich auf ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom August 2005.

Das DIW-Gutachten weist nach Auffassung der Ärztegewerkschaft "wegen falscher Aussagen und unvollständiger Datenerhebung schwerwiegende Mängel auf". Die behauptete Wochenarbeitszeit von 46 Stunden sei "schlichtweg falsch".

Marburger Bund: Mehr als 60 Wochenstunden und 11,80 Euro pro Stunde brutto

Einer eigenen Erhebung zugolge leisteten Klinikärzte jährlich 50 Millionen unvergütete Überstunden. In der Berliner Charité seien es monatlich beispielsweise 85.000 Überstunden. Hinzu kämen "unzählige Bereitschaftsdienste, die illegal sind und ebenso wie die Überstunden gar nicht erfasst werden". In einer Umfrage unter 2.500 Ärzten habe jeder zweite die Nichteinhaltung des Arbeitszeitgesetzes beklagt. Eine Untersuchung der TU Berlin habe zudem gezeigt, "dass über 60 Prozent der Berliner Krankenhausärzte mehr als 60 Stunden in der Woche arbeitet".

Bei der Berechnung der monatlichen Nettoeinkommen habe das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zudem "die millionenfach unvergüteten Überstunden außen vor gelassen". Würde man diese in das Grundgehalt eines jungen Arztes in Höhe von 3.000 Euro brutto pro Monat einberechnen, dann reduziere sich der tatsächliche Bruttostundenlohn auf 11,80 Euro, schreibt der Marburger Bund.

Das Wirtschaftsinstitut DIW habe "zugegeben", dass die entsprechenden Daten des Mikrozensus aus einer Umfrage unter lediglich 200 Ärzten zustande gekommen sei. "Zudem konnte es nicht sagen, um welche Art von Ärzten es sich handelt." Zudem ist die Angabe von Nettoeinkommen nach Auffassung des Marburger Bundes "höchst unwissenschaftlich, da zur Berechnung des Nettoeinkommens auch sich positiv auswirkende Faktoren wie Familienstand und Kinderzahl hinzukommen, die nichts mit dem Arztberuf zu tun haben, sondern mit der persönlichen Lebenssituation".

Schließlich ist nach Auffassung der Ärztegewerkschaft auch die Darstellung der Deutschen Krankenhausgesellschaft falsch, wonach mit der Überleitung der Klinikärzte in den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) keine Gehaltseinbußen, sondern sogar Gehaltszuwächse verbunden wären.

TVöD: Wegfall des Familien- und Kinderzuschlages - Streichung der Gehaltserhöhung nach Lebensalter - Rückstufung in untere Gehaltsebenen bei Arbeitgeberwechsel

Der Marburger Bund habe diesen Tarifvertrag "aus guten Gründen" unterzeichnet "und die Verhandlungskooperation mit Verdi aufgekündigt". Insbesondere junge Berufsanfänger würden beim neuen Tarifvertrag finanziell massiv benachteiligt: "Ein 29jähriger verheirateter Arzt wird im Vergleich zum BAT beim neuen TVöD nach zehn Berufsjahren einen Einkommensverlust von rund 31.300 Euro, nach 20 Jahren von rund 67.900 Euro erleiden", schreibt der Marburger Bund.

Aber auch "berufserfahrene Ärzte", müssten bei einer Überleitung in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst "erhebliche" - vom Marburger Bund allerdings nicht näher bezifferte - Gehaltskürzungen hinnehmen. Hauptursachen seien der Wegfall des Familien- und Kinderzuschlages, die Streichung der Gehaltserhöhung nach Lebensalter und insbesondere die Rückstufung in untere Gehaltsebenen bei Arbeitgeberwechsel.