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Breite Bevölkerungsmehrheit gegen Tornado-Einsatz in Afghanistan

"Den Aufklärern folgen Bomber"

Mit Meinungsumfragen wird heutzutage von interessierter Seite vielfach Stimmung für oder gegen bestimmte politische Vorhaben gemacht. Die Auftraggeber der Umfragen haben es durch die Art der Fragestellung zum Teil in der Hand, ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Häufig wird - wie unlängst bei einer Umfrage im Auftrag von "Spiegel Online" - die Fragestellung nicht veröffentlicht, so dass gerade knappe Umfrageergebnisse kaum bewertbar sind. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) haben jetzt eine Umfrage zum geplanten "Tornado"-Einsatz in Afghanistan beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben. Die Fragestellung wurde von der Organisation transparent gemacht, das Ergebnis ist erdrückend: Etwas mehr als drei Viertel der Bundesbürger (77 Prozent) sind dagegen, dass die Bundesregierung der Bitte der NATO um Entsendung von Tornados zur militärischen Aufklärung in den stärker umkämpften Süden Afghanistans nachkommt. Nur rund ein Fünftel spricht sich dafür aus. Eine Emnid-Umfrage im Auftrag des Nachrichtensenders N24 kommt zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Demnach sind 78 Prozent der Bevölkerung gegen den Tornado-Einsatz. Unterdessen ging die Diskussion um die geplante Ausdehnung des Kriegseinsatzes der Bundeswehr weiter.

Der Umfrage zufolge sind sich die Anhänger aller Parteien des Deutschen Bundestages grundsätzlich einig in der Ablehnung des Tornado-Einsatzes. 68 Prozent der CDU/CSU-Anhänger und 78 Prozent der SPD-Anhänger lehnen den Kriegseinsatz ab. Auch die Anhänger der Oppositionsparteien sind gegen das Vorhaben: 69 Prozent der FDP-Anhänger, 81 Prozent der Grünen-Anhänger und 95 Prozent der Anhänger der Linkspartei lehnen die Entsendung der Tornados ab. Insgesamt sind 21 Prozent der Bevölkerung dafür, Tornados in den Süden des Landes zu entsenden.

IPPNW: Die Erkundung von Zielen für Bomben und Raketen

Angesichts der "parteiübergreifenden Mehrheit gegen eine Tornado-Entsendung" wandten sich der Ehrenvorsitzende der IPPNW, Horst Eberhard Richter, und die Vorsitzende der Organisation, Angelika Claußen, mit einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Mitglieder des Kabinetts. "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, als deutsche Sektion der internationalen Ärzteorganisation IPPNW, die 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, halten wir es für unsere Pflicht, Ihnen dringend einen Verzicht auf eine Entsendung von deutschen Tornado-Düsenjägern und Soldaten in den Süden Afghanistans anzuraten", heißt es in dem Schreiben.

Einbindung in die Strategie militärischer Gewalt heißt nach Auffassung der Friedensorganisation, "zur Irakisierung Afghanistans beizusteuern. Gleichzeitig würde sich Deutschland durch eine fatale Grundsatzentscheidung dem Zwang aussetzen, sich künftig von beliebigen weiteren kriegerischen Unternehmungen von NATO oder USA automatisch vereinnahmen zu lassen." Schnelle Gewalt-Lösungen, wie sie durch Erhöhung der Truppenstärken suggeriert werden sollten, werde es nicht geben - "erst recht nicht in einem Land, das jahrzehntelang von Kriegen und ausländischen Interventionen erschüttert wurde", so Claußen.

Die Erkundung von "Zielen für Bomben und Raketen" sei Bestandteil kriegerischen Handelns, "das erfahrungsgemäß nur neuen terroristischen Hass und neue blutige Gewalt" hervorbringe. In Afghanistan, das zu den ärmsten Ländern der Welt zähle und mit 10 Millionen Landminen verseucht sei, sei eine Erhöhung der Truppenstärke und eine Tornado-Stationierung nicht Teil der Lösung, sondern "Teil des Problems", meint die Organisation.

Claußen: Wiederaufbau-Gelder auf Sonderkonto der Weltbank

Die zivilen Wiederaufbau-Hilfen seien bisher kaum der afghanischen Bevölkerung zugute gekommen. Milliarden von Dollars, die auf diversen Geberkonferenzen versprochen wurden, sind nach Angaben der IPPNW "auf einem Sonderkonto der Weltbank geparkt beziehungsweise fließen überwiegend den etwa 2500 ausländischen Nichtregierungsorganisationen zu". Das habe auch die Journalistin Fariba Nawa bestätigt, die zwei Jahre in Afghanistan gearbeitet habe und die vor Ort über den Verbleib der Hilfsgelder recherchiert habe. Experten ausländischer Hilfsorganisationen kritisierten, dass internationale Hilfe sich oft auf das Zentrum Kabul konzentriere und die Menschen in den Provinzen vernachlässige. "Afghanistan braucht einen Entwicklungsplan und nicht mehr Truppen oder Tornados", meint Claußen.

Jung: Deutsche Tornados könnten im April nach Afghanistan kommen Laut Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) plant die Bundesregierung möglicherweise einen Einsatz deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan ab Mitte April. "Vorausgesetzt, das Kabinett fasst den Beschluss und der Bundestag stimmt diesem zu, könnten die Tornados schon Mitte April in Afghanistan eintreffen", sagte Jung der "Bild"-Zeitung.

Dass der Einsatz der Tornados vom Typ "Recce" am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wird, steht nach Angaben aus dem Kanzleramt fest. Auch am positiven Beschluss des Bundestages Anfang März werde jetzt nicht mehr gezweifelt.

Jung lobte die Arbeit des Bundeswehrkontingents im ruhigeren Norden Afghanistans. Die deutschen Soldaten leisteten "einen sehr wichtigen Einsatz". Und: "82 Prozent der Bevölkerung stehen auf unserer Seite", so der Minister, ohne allerdings auf die aktuelle Forsa-Umfrage einzugehen, wonach 77 Prozent den Tornado-Einsatz ablehnen.

Gehrcke: Von wegen "Uniform tragende Entwicklungshelfer"

Nach Auffassung des Vorstandsmitglieds der Linkspartei, Wolfgang Gehrcke, "verstrickt sich Deutschland mit dieser Entscheidung noch tiefer in einen Krieg, der militärisch nicht zu gewinnen ist." Die Entsendung von Tornados der Bundeswehr bringe Deutschland an der Seite der USA immer mehr in die Rolle einer Kriegspartei.

Bislang habe die Bundesregierung in ihren öffentlichen Äußerungen laut Gehrcke "immer den Eindruck zu erwecken versucht, die deutschen Soldaten in Afghanistan wären eigentlich mehr Uniform tragende Entwicklungshelfer. Das waren sie nie, aber mit der Entsendung der Flugzeuge wird eine neue Stufe des deutschen militärischen Engagements in Afghanistan eingeleitet."

Die deutschen Tornados würden "Teil der von der NATO geplanten Frühjahrsoffensive; die von ihnen gelieferten Aufklärungsergebnisse dienen dazu, Angriffsziele festzulegen. Den deutschen Aufklärern werden NATO-Bomber folgen", kritisiert Gehrcke. Nach Auffassung der Linkspartei könnten die Ostermärsche der Friedensbewegung "eine Antwort der Menschen in Deutschland sein, die Krieg als Mittel der Politik ablehnen".

Nach Angaben des verteidigungspolitischen Sprechers der Linksfraktion, Paul Schäfer, trainiert das zur Entsendung nach Afghanistan vorgesehene Tornado-Aufklärungsgeschwader seit einigen Wochen "close-air-support"-Operationen und die Bekämpfung von Bodenzielen mit Bordkanonen. Piloten des Aufklärungsgeschwaders hätten die Befürchtung geäußert, in Afghanistan Kampfeinsätze fliegen zu müssen.

Pflüger: Die NATO tötet immer mehr Zivilisten Die Europaabgeordnete der Partei, Tobias Pflüger, behauptet in einer aktuellen Stellungnahme, die NATO töte bei ihren Angriffen in Afghanistan immer mehr Zivilisten. Die einzig "richtige politische Forderung" sei daher nicht die Ausweitung des Militäreinsatzes der Bundeswehr mit Tornados und dem Kommando Spezial Kräfte (KSK) in Südafghanistan sondern die Beendigung dieses Einsatzes.

Grüner Kreisverband Emmendingen: Zielfindung für die Bombenangriffe

Die grüne Bundestagsfraktion signalisierte bislang keine Ablehnung des erweiterten Kriegseinsatzes in Afghanistan. Der Sicherheitsexperte der Fraktion, Winfried Nachtwei, erwartet von der Bundesregierung lediglich eine "glaubwürdige konkrete Begründung" und eine "nachhaltige" Strategie.

An der Basis der Partei wird das vereinzelt kritischer gesehen. Der Grüne Kreisverband Emmendingen veröffentlichte eine Erklärung, in der sich die Kommunalpolitiker gegen einen "schleichenden Einstieg in den Krieg" aussprechen. "Nach Ansicht des Grünen Kreisverbands Emmendingen und der Grünen Kreistagsfraktion wird Deutschland so nach und nach in einen großen Krieg gezogen", heißt es in der Erklärung. Der geplante Tornadoeinsatz sei "nicht so harmlos, wie gerne dargestellt wird". Eine "bessere Luftaufklärung" im Süden Afghanistans bedeute bei einem asymetrischen Krieg immer auch "Zielfindung für die Bombenangriffe auf unbeteiligte Zivilisten und Kinder".

Bei dieser Ausweitung der Kriegshandlungen gehe es auch darum "wieder das töten zu lernen". Der grüne Kreisverband verweist auf den Regierungsbeauftragten Karsten Voigt, der kürzlich laut "Spiegel" in Washington bedrängt worden sei, die Bundeswehr könne nicht immerzu nur im ruhigen Norden Patrouille fahren. Die deutschen Soldaten müssten "lernen zu töten". "Hier müssen wir uns widersetzen", meint der Grüne Kreisverband Emmendingen. "Nach unserer Ansicht sollten die Unterwerfungsgesten gegenüber den USA endlich eingestellt werden."

Binnen zwölf Monaten hätten sich in Afghanistan die Zahl der Selbstmordattentate versechsfacht, die Feuerüberfälle auf Nato-Truppen verdreifacht, die Angriffe auf afghanische Einheiten vervierfacht. Auch im Norden, wo die Bundeswehr stationiert ist, nehme die Gewalt spürbar zu.

Asymetrische Kriege, bei denen sich hochtechnisierte Armeen und schlecht ausgerüstete Truppen gegenüber stünden - "Tornado contra Gewehr" - führten in letzter Konsequenz zu einer, regional nicht mehr eingrenzbaren, Zunahme von Selbstmordattentaten. "Wir befürchten, dass diese Seuche nicht mit militärischen Mitteln eingrenzbar ist. Der Terror, den der Krieg unterbinden soll, wird so weltweit verstärkt."

"Nach und nach, in vielen kleinen Schritten werden wir in einen nicht gewinnbaren Krieg gezogen. Spätesten nach der absehbaren Niederlage der USA im Irak, wird der Krieg in Afghanistan mit der gleichen Brutalität geführt und verloren werden. Wir wollen als Grüne nicht erst dann unsere Stimme erheben, wenn die Luftwaffe immer mehr Zinksärge nach Hause bringt", heißt es in der Erklärung des grünen Kreisverbandes.

Erschreckend sei auch der Mangel an öffentlicher Debatte zu diesem wichtigen Thema. Gegen den "großen Krieg" im Irak habe es einen breiten Widerstand gegeben. Die "Durchsetzungsstrategen und Akzeptanzforscher" hätten daraus ihre Lehren gezogen. "Nach und nach und ohne Widerstand schlittern wir in einen Krieg, den auch die Bevölkerung nicht will. Wir erwarten auch von den Grünen Bundespolitikern ein entschiedenes Nein zu dieser Änderung des Mandats gegen den schleichenden Einstieg in den Krieg," fordern die Grünen-Politiker in Emmendingen.

Gertz: Die Aufklärung ist ein Teil des militärischen Kampfes

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, sieht eine "neue Dimension" des Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan: "Jetzt werden wir Teil eines unmittelbaren Kampfes gegen Taliban und Al-Qaida, was bislang nur für einen befristeten Zeitraum unsere KSK-Soldaten auf ihren Schultern hatten." Man müsse so ehrlich sein zu sagen, "dass auch die Aufklärung ein Teil der unmittelbaren Unterstützung des militärischen Kampfes ist", so Gertz.