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Hessen genehmigt Flughafenausbau "mit Nachtfluglizenz"

"Koch begeht Wortbruch"

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wollte offenbar noch kurz vor der Landtagswahl Ende Januar Fakten schaffen. Sein Wirtschaftsminister Alois Rhiel teilte am 18. Dezember mit, er habe den Planfeststellungsantrag der Fraport AG zur Erweiterung des Frankfurter Flughafens genehmigt. Damit bestehe Baurecht für das größte Infrastrukturprojekt in Hessen. Nur durch den Flughafen-Ausbau werde man der steigenden Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen am Standort Frankfurt gerecht. Die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, warf ihrem Kontrahenten Koch vor, er begehe mit der "Nachtfluglizenz" einen "eklatanten Wortbruch gegenüber der Region". Das Bündnis der Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau und für ein Nachtflugverbot hält "die Ausbaugenehmigung für unverantwortlich, das ganze Verfahren für verlogen und das Verhalten des Ministerpräsidenten für skandalös." Koch habe im Falle eines Flughafen-Ausbaus ein Nachtflugverbot versprochen. Empört kritisiert das Bündnis: "Ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen kann, hätte den Ausbau schon längst abgesagt." Koch habe weder den Willen noch die Kraft zu sagen, er stehe zu seinem Wort, dass der Ausbau ohne Nachtflugverbot nicht stattfinde.

Die Fraport AG kann jetzt nach Angaben von Wirtschaftsminister Rhiel eine 2800 Meter lange neue Landebahn im Nordwesten bauen sowie ein neues Terminal 3 im Süden und zahlreiche weitere Gebäude, Verkehrswege und Anlagen, so Rhiel. Im Jahr 2020 sollen dadurch 701.000 Flugbewegungen möglich sein (2006: 489.000). Die Zahl der geplanten Flugbewegungen pro Stunde könne von derzeit rund 82 auf 126 erhöht werden. Im Jahr 2020 sollen 88,6 Millionen Fluggäste gezählt werden (2006: 52,8 Millionen). "Auch der Frachtumsatz kann dank des Ausbaus kräftig wachsen: 2020 wird die Abfertigung von 3,16 Millionen Tonnen Luftfracht möglich sein", so Rhiel. 2006 waren es 2,06 Millionen Tonnen.

Rhiel: Rechtssicheres Nachtflugverbot = 150 planmäßige Flugbewegungen

Im Gegensatz zu seinen Kritikern sagte Rhiel, der Beschluss beachte das Mediationsergebnis und beinhalte "ein rechtssicheres Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr, für das auf den bestehenden Bahnen im Jahresdurchschnitt allerhöchstens 17 planmäßige Ausnahmen zugelassen werden".

Demnach würden von 22 bis 6 Uhr erstmals die geplanten Flugbewegungen auf 150 pro Nacht "im Jahresdurchschnitt" begrenzt. Bisher habe es keine zahlenmäßige Begrenzung des nächtlichen Flugverkehrs gegeben.

Faktisch handelt es sich jedoch um eine Steigerung der Nachtflüge. Denn, so Rhiel: Im Jahr 2006 wurden durchschnittlich 138 planmäßige Flüge in der Nacht durchgeführt.

Die neue Landebahn Nordwest werde zwischen 23 und 5 Uhr komplett geschlossen. Auf den anderen Bahnen sollen offenbar 150 Nachtflüge erlaubt sein, wobei auf diesen zwischen 1 Uhr und 4 Uhr zumindest "planmäßige" Starts und Landungen "von Passagierflugzeugen" verboten werden sollen.

Fraport und die 63 Kommunen haben ab Zustellung einen Monat Zeit, um Rechtsmittel gegen den Planfeststellungsbeschluss einzulegen. Bürger dürfen gegen den Planfeststellungsbeschluss klagen, wenn sie im bisherigen Verfahren bereits eine Einwendung eingereicht hatten.

Rhiel sagte, die Genehmigung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens liege im öffentlichen Interesse. Der Flughafenausbau bringe enorme volkswirtschaftliche Vorteile. Ohne Ausbau drohe Frankfurt der Verlust der Funktion als weltweit bedeutende Drehscheibe. "In jüngster Zeit lagen die am Frankfurter Flughafen erzielten Zuwachsraten bereits deutlich unter den Zuwächsen anderer Flughäfen", so der Minister.

Ypsilanti: Die Nachtfluggenehmigungen machen den Planfeststellungsbeschluss nicht rechtssicherer

Die SPD-Spitzenkandidatin Ypsilanti sagte, "wir wollen den Ausbau, wir wollen aber auch die vollständige Umsetzung des Mediationspakets". Ministerpräsident Koch verantworte mit der "Nachtfluglizenz" einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber den Menschen in der Region "und riskiert, dass der Planfeststellungsbeschluss auf dem Rechtsweg gekippt wird, zum Schaden und zur weiteren Verzögerung des Ausbaus am Frankfurter Flughafen", so Ypsilanti. "Wir teilen nicht die Auffassung des Wirtschaftsministers, dass die Nachtfluggenehmigungen den Planfeststellungsbeschluss rechtssicherer machen, sondern befürchten das Gegenteil. Die Abweichung von der Antragstellung der Fraport AG wird zur juristischen Achillesferse der Genehmigung."

Ypsilanti erinnerte an die klaren Aussagen der Rechtsexperten in der Landtagsanhörung im Februar dieses Jahres, die deutlich gesagt hätten, dass die Planfeststellungsbehörde nicht hinter das beantragte Nachtflugverbot im Antrag der Fraport AG zurückfallen könne. Die Rechtsexperten hätten zudem "unterstrichen, dass das Nachtflugverbot und der Ausbau in der Planfeststellung rechtssicher miteinander verknüpft werden können, so wie es die Mediation vorsieht. Dies war und ist für uns weiterhin die planerische Grundlage dieser zentralen Infrastrukturentscheidung für Hessen."

Die knappe Halbierung der Zahl geplanter Nachtflüge könne nicht ernsthaft als Nachtflugverbot bezeichnet werden. "Die vollmundige und in der letzten Plenarwoche noch wortreich bekräftigte Verschleierungsrhetorik der CDU, dass das Nachtflugverbot trotz Ausnahmen‚ in der Substanz erhalten bleiben soll, sind zur Makulatur geworden angesichts der Zahl von 17 planmäßigen Flügen in der Mediationsnacht", so Ypsilanti.

Planmäßige und unplanmäßige Nachtflüge

Der Vergleich zu den derzeit tatsächlich geflogenen durchschnittlich rund 36,6 planmäßigen und 15,8 unplanmäßigen Flügen zwischen 23 und 5 Uhr zeige, dass sich für die Menschen im Umland in der Nacht nichts Grundlegendes verändern werde.

Ypsilanti kündigte an, dass eine SPD-geführte Landesregierung die ihres Erachtens fehlgehende Abwägung der wirtschaftlichen Ausbauinteressen und des nächtlichen Ruhebedürfnisses der Flughafenanrainer überprüfen und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten korrigieren werde. "Wir lassen uns von CDU und FDP nicht in die Ecke der Ausbaugegner drängen, sondern unsere Position hat sich nicht verändert: Wir wollen den Ausbau des Frankfurter Flughafens gemäß den Vorgaben der Mediation sicherstellen, weil wir nach wie vor das Mediationsergebnis als tragfähigen, ausgewogenen und glaubwürdigen Weg zur Kapazitätserweiterung sehen. Wir wollen den Ausbau mit Nachtflugverbot." Die SPD vertrete damit die Interessen der überwiegenden Mehrheit in der Region.

Al-Wazir:

"Mehr Krach durch jährlich über 200.000 zusätzliche Flüge am Tag und keine Ruhe in der Nacht, das ist die Weihnachtsbotschaft von Wirtschaftsminister Rhiel und Ministerpräsident Koch für die Menschen in der Rhein-Main Region", kritisierte der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Hessischen Landtag, Tarek Al-Wazir.

In Zukunft würden zwischen 22 und 6 Uhr sogar mehr Flugbewegungen als jetzt stattfinden, und zwischen 23 und 5 Uhr, also in der so genannten Mediationsnacht, bedeuteten 17 Flüge alle 21 Minuten eine Flugbewegung. "Die Landesregierung hat die Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet systematisch für dumm verkauft, Roland Koch höchstpersönlich hat die Bürgerinnen und Bürger schlicht belogen", meint Al-Wazir.

Er erinnerte daran, dass Koch sich mehrfach öffentlich dafür gelobt habe, dass er als Aufsichtsratsvorsitzender von Fraport "deren Antrag zum Nachtflugverbot initiierte und durchsetzte, ein Antrag, den seine eigene Landesregierung jetzt in dem Abschnitt Nachtflugverbot ablehnt". Damit werde die Grundlage der Mediation, die von Koch immer beschworen worden sei, "eindeutig verlassen". Wenn die beschworene unlösbare Verbindung von Ausbau und Nachtflugverbot aber nicht umgesetzt werden könne, "dann muss auf den Ausbau verzichtet werden", fordern die Grünen.

"Statt immer mehr Belastungen für die Menschen im Rhein-Main Gebiet zu schaffen, sei eine intelligente Kooperation von Fraport mit anderen bestehenden Flughäfen sinnvoll. Ein Ausbauwettlauf mit Dubai führe allerhöchstens dazu, "dass im Rhein-Main-Gebiet eine Lärmwüste entsteht".

Flughafen-Ausbau-Gegner: Nur ein betrügerisches Ruhigstellungsmanöver

Das Bündnis der Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau und für ein Nachtflugverbot kritisierte, Koch habe die Bürger auch bei den Genehmigungsverfahren "betrogen, in dem er vorgaukelte, sie würden ernst genommen, ihre Einwendungen berücksichtigt. Heute ist klar, auch das war nur ein betrügerisches Ruhigstellungsmanöver."

Die in 143.000 Einwendungen und sechs Monaten Erörterung vorgebrachten Argumente zu Gesundheitsschäden durch Lärm und Schadstoffe, Entwicklungsstörungen der Kinder, Zerstörung der Natur und der Erholungsräume, der Entwertung von Immobilien und vielem mehr, "alles wird weggewischt".

Nur Gutachter, die von Fraport bezahlt würden, hätten Recht, "auch wenn sie die Ergebnisse noch sehr zurechtbiegen", so die Kritik der Flughafen-Gegner. Ein paar Auflagen verhinderten die massiven Schädigungen nicht, Geld sei kein Ausgleich. Die vor wenigen Tagen mit großen Aufwand verkündete "gemeinsame Erklärung" für weniger Lärm von Fraport, Lufthansa und der anderen Lärmverursacher und ihrer Unterstützer sei "nichts als heiße Luft". Es werde nichts zugesagt, es werde nur geprüft - unter "wirtschaftlichen Gesichtspunkten".

Die Kritiker des Flughafen-Ausbaus halten auch das Arbeitsplatz-Argument der Landesregierung für nicht glaubwürdig. Keinesfalls käme es zu hunderttausend neuen Arbeitsplätze neuen Arbeitsplätzen, wie die Landesregierung behaupte. "Es wird keine neuen Arbeitsplätze geben, eher nimmt die Gesamtzahl der heute im Lärmteppich des Flughafens vorhandenen Stellen ab", meint das Bündnis der Bürgerinitiativen. Für normale Betriebe sei es einfach zu laut, "gute Mitarbeiter wollen ruhig wohnen".

Unabhängige und international renommierte Wissenschaftler hätten nachgewiesen, dass die "hunderttausend neuen Arbeitsplätze" reine Fantasie seien. Diese Zahl sei "fern aller wissenschaftlichen Methoden erfunden worden", die "Berechnungen" seien gefälscht, behaupten die Fraport-Gegner. Sie sind empört: "Selbst wenn es Arbeitsplätze gäbe, für wie viele darf man auch nur einem Kind seine Entwicklungschancen nehmen? Wie viel zusätzliche Herzinfarkte sind es wert, dass ein eitler Ministerpräsident einen noch größeren Flughafen in seinem Bundesland vorweisen kann?"