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Sparmaßnahmen an geplanten Atomreaktoren gefährlich

Atomkraftwerk

Anlässlich des Besuches des finnischen Ministerpräsidenten Matti Vanhanen in Deutschland weist die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) auf die ungelösten sicherheitstechnischen Problemfelder des Europäischen Druckwasser-Reaktors (EPR) hin. Der Einsatz vornehmlich aktiver statt passiver Sicherheitssysteme und die gewaltige Leistung von 1600 Megawatt entspreche nicht dem Stand der sicherheitstechnischen Diskussion. Der Verzicht auf einen kernschmelzfesten Sicherheitsbehälter dokumentiert nach Auffassung der Ärzteorganisation das Prinzip Kostensparen statt Risikovorsorge.

Der Reaktor wurde von Siemens und Framatome (AREVA) entwickelt und soll weltweit erstmals in Finnland gebaut werden. Nach einer von der IPPNW am Dienstag veröffentlichten Expertise stellt der geplante Einsatz digitaler Leittechnik vor dem Hintergrund eines Störfalls in Deutschland ein gefährliches Großexperiment mit einer unausgereiften Steuerungstechnik dar. Die IPPNW warnt, dass gerade die zentrale sicherheitstechnische Neuerung, das Auffangbecken für die Kernschmelze, zur Zerstörung des neuen Superreaktors durch Dampfexplosionen führen kann.

Siemens räumt nach Angaben der IPPNW weiterhin ein, dass bei der zentralen sicherheitstechnischen Neuerung, dem Auffangbecken für eine Kernschmelze (dem sog. Core Catcher) die Gefahr besteht, dass es beim Kontakt der Schmelze mit Kühlwasser zu Dampfexplosionen kommt. Die IPPNW erinnert, dass es bei Experimenten zur Simulation von Kernschmelzunfällen im Forschungszentrum Karlsruhe bereits zwei mal unbeabsichtigt zu massiven Explosionen mit der Zerstörung der tonnenschweren Versuchsapparaturen gekommen ist.

Als besonders brisant schätzt die IPPNW den geplanten Einsatz digitaler Sicherheitsleittechnik ein, die bislang in deutschen Atomkraftwerken nicht für den hochsensiblen Reaktorschutz angewendet wird. Doch bereits der Einsatz der Siemens-Sicherheitsleittechnik TELEPERM XS in weniger sensiblen Bereichen führte am 10. Mai 2000 im deutschen Atomkraftwerk Neckarwestheim-1 zu einem gefährlichen Vorkommnis, bei dem die zentrale Sicherheitseinrichtung des Reaktors, das Einfahren der Steuerstäbe in den Reaktorkern, für kurze Zeit blockiert war. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit machte die Komplexität der Anforderungen an die Steuerung eines Atomkraftwerks für das Vorkommnis verantwortlich.

Nach Informationen der Reaktorsicherheitskommission wird sie das Thema digitale Leittechnik aufgrund des brisanten Vorfalls regelmäßig beraten. Das ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass diese Technik nicht ausgereift ist, so die IPPNW.

Die Anforderungen an die Steuerung des Europäischen Druckwasser-Reaktors sind gewaltig. Nach Angaben von Siemens soll die Anlage aus rund 300.000 untereinander vielfach verknüpften Anlagenteilen bestehen. Die digitale Leittechnik muss in 850.000 Kubikmeter umbautem Raum rund 20.000 Armaturen, 1000 verfahrenstechnische Apparate bzw. Aggregate und 5000 elektrische Verbraucher koordinieren. Jeder Programmierer weiss aus eigener Erfahrung mit weitaus weniger komplexen Anforderungen, dass sich bei einem solchen System Fehler nicht vermeiden lassen. Und die Brisanz liegt darin, dass Fehler oftmals nicht schon während der Inbetriebsetzung erkannt werden, sondern oftmals erst Monate oder Jahre später.

Unterdessen wurde bekannt, dass Siemens auf eine staatliche Hermes-Bürgschaft für den geplanten AKW-Export verzichtet.