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Lukrative Geschäfte für Wirtschaft, Staat und Parteien

Betrugsfall Flowtex

Der Flowtex-Skandal scheint kein Einzelfall zu sein und zeigt, wie Politiker, Staatsanwälte und Finanzämter in Deutschland gelegentlich ihre schützende Hand über betrügerische Geschäfte halten. Ostdeutsche Finanzbeamte, die in der Bundesrepublik Deutschland rechtsstaatliche Verhaltensweisen erwarten, wundern sich, wenn ihre westdeutschen KollegInnen herbeigeeilt kommen, und auf die guten Beziehungen der Geschäftsleute in der Politik verweisen. Gelder fließen in die Kassen der Parteien, Geburtstagsfeiern verschlingen mal so eben eine Million Mark. Von Sparen und "den Gürtel enger schnallen" ist da keine Rede.

Der Angeklagte Dr. Klaus Kleiser glaubte, sich "in einem System transponierten Rechts" zu befinden. Mit diesen Worten beschrieb Bauingenieur Kleiser als einer der Hauptangeklagten bei der Befragung des Gerichts in Mannheim am 1. Oktober sein Gefühl nach einer Mitte der neunziger Jahre stattgefundenen Bilanzprüfung. Rund vier Milliarden D-Mark Schaden haben seit Beginn der neunziger Jahre Kleiser und sein Chef Manfred Schmider, ehemaliger Schrott- und Autohändler, mit betrügerischen Geschäften angerichtet. Die Masche beruhte auf Horizontalbohrmaschinen, jeweils eine bis eineinhalb Millionen Mark teuer, mit denen man Bohrungen beispielsweise unter Strassendecken hindurch ausführen kann, ein im Prinzip technisch sinnvolles, weil Zeit und Geld sparendes System.

Die Flowtex-Manager kauften einige dieser Geräte und fälschten den Kauf und die profitable Verleasung von einigen tausend weiterer Geräte. Allein das Kassieren der bei den Banken finanzierten Kaufpreise, die dann ja nicht gezahlt wurden, weil in Wirklichkeit keine Käufe erfolgt waren, brachte den Betrügern Milliarden ein bis ihnen Anfang 2000 das Handwerk gelegt wurde. Natürlich war es zum Zwecke der Verschleierung notwendig, weitere Firmen wie zum Beispiel die Firma KSK zu gründen, deren Sitz 1995 vom Schmider-Sitz Ettlingen nach Weimar/Thüringen verlegt wurde.

Es handelt sich um ein Betrugssystem, das ganz frappierend dem im Juni 1994 aufgedeckten Betrugsskandal Balsam/Procedo ähnelt. Hier waren über Jahre hinweg gefälschte Aufträge zum Bau von Böden in Sporthallen auf der ganzen Welt finanziert und über ein leasingähnliches Finanzierungsmodell betrügerisch mit einem Schaden von rund eineinhalb Milliarden DM abgewickelt worden.

Warum also meinte Kleiser, er sei "in einem System transponierten Rechts"? Wie die Befragung des Gerichts ergab, hatte Kleiser dem Prüfer von den in Wirklichkeit gar nicht vorhandenen Bohrgeräten erzählt. Entgegen seiner Erwartung, damit sei alles aufgeflogen, geschah nichts seitens der Behörden und das Betrugsgeschäft konnte noch Jahre weiter gehen. Im Februar 1996 erstattete die Geschäftsführerin der zum Flowtex-Imperium gehörenden KSK Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung beim Finanzamt Weimar, es ging um 86 Millionen.

Seitens der Baden Württembergischen Finanzbehörde Karlsruhe wurde nach Bekanntwerden dieser Selbstanzeige eine massive Rettungsaktion zugunsten Schmider/Flowtex gestartet. Der Spiegel formulierte das in Nr.33/2001 so: „Kaum erfuhr das Finanzamt Karlsruhe davon, eilten gleich mehrere Beamte nach Thüringen. Die Westler beknieten die überraschten Ostler, die Finger von der Vorzeigefirma zu lassen." Und später als das Finanzamt Erfurt 33 Flowtexobjekte durchsuchen wollte: "Erneut warnten die Kollegen aus dem Südwesten vor einer harten Gangart. Die Firma habe beste Beziehungen in die Politik. In solchen Fällen,... sei es deshalb bei ihnen üblich, vorher das Finanzministerium zu informieren."

Im Mai 1996 ging eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe ein. Ein Anonymus schilderte detailliert, also mit Insiderkenntnissen, das Betrugssystem, welches den Flowtex-Bossen ein Leben in Saus und Braus ermöglichte. In verschiedenen seriösen Quellen finden sich Zahlen zum persönlichen Geldbedarf Schmiders, nämlich bis zu siebzig Millionen DM pro Monat. Neben Luxusimmobilien im In- und Ausland, diversen Mega-Yachten und ähnlichen privaten Annehmlichkeiten leistete der Betrüger sich noch ein anderes Hobby, nämlich das Spenden von Geldern an die ihm nahestehenden Parteien CDU und FDP.

Neben einem Millionenengagement an dem den Politikern wichtigen Regionalflughafen Söllingen war Schmider dafür bekannt, dass er Kreisverbänden besagter Parteien gerne einmal einige Zehntausender zusteckte, der Oberbürgermeisterkandidat der CDU Baden-Baden wurde mit 100.000 Mark unterstützt und laut Information des Stern (Nr.10/2001) ist bemerkenswert, "dass die Teufel-CDU Spenden des Milliarden-Betrügers Manfred Schmider (Flowtex-Skandal) erst falsch verbuchte und dann lange zögerte, sie zurückzugeben..."

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe liess die Anzeige im Sande verlaufen und die Flowtex-Geldbeschaffungsmaschine lief weiter wie geschmiert, wie schon erwähnt bis Anfang 2000.

Ist es verwunderlich, dass der Angeklagte Kleiser sich in einem „System transponierten Rechts" glaubte, zum Beispiel bei seiner Teilnahme an Schmiders 50. Geburtstag im Jahre 1999?

Baden Württembergische Regierungsmitglieder einschliesslich Erwin Teufel selbst nahmen an der opulenten Feier teil, die inklusive nächtlichem Feuerwerk und der Laudatio auf den Jubilanten Schmider durch den ehemaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth den angemessenen Betrag von einer Million DM gekostet hat. Ist es verwunderlich, wenn der Anwalt des ebenfalls in den Fall verwickelten Bruders des Hauptangeklagten, Matthias Schmider, von einem "Vertuschungskartell" spricht ?

Parallelitäten zum Fall Procedo/Balsam gibt es auch hier. Procedo-Chef Klindworth, später wegen Betrugs zu zweieinhalb Jahren verurteilt, obwohl der Staatsanwalt 10 Jahre gefordert hatte, war in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden als CDU-Mitglied grosszügiger Spender seiner Partei und ebenfalls im Nachhinein erst war der Öffentlichkeit bekannt geworden, dass verschiedenen Behörden schon lange Zeit handfeste Hinweise auf die Betrugsmasche vorlagen, ebenso folgenlos über Jahre wie bei Flowtex.

Es gibt zumindest ein weiteres Beispiel in der jüngeren Geschichte dafür, dass eine politische Partei von Mitgliedern oder Nahestehenden mit kriminell erworbenen Geldern über Jahre hinweg gefördert wurde.

Dabei ist Betrug wie in den oben erwähnten Fällen nicht die einzige Verbrechensart, auf die solche Leute zurückgegriffen haben. So hat eine Gruppe von drei Mitarbeitern der Deutschen Bundesbank in Frankfurt über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren mit fortgesetzten Gelddiebstählen Millionen an sich gebracht. Führend beteiligt war hierbei ein wichtiges Mitglied der hessischen CDU, Fraktionsvorsitzender dieser Partei in der Wiesbaden direkt benachbarten Gemeinde Niedernhausen, dort Vorsitzender des Finanzausschusses und Personalrat der Bundesbank.

Der CDU-Mann war nicht nur als finanzieller Förderer seiner Partei bekannt, sondern pflegte einen aufwendigen Lebensstil mit Kauf von Immobilien und so weiter und so fort. Die Bundesbank sortierte damals jährlich ca. 20 Milliarden DM an schmutzigen und abgegriffenen Scheinen aus dem Geldkreislauf aus und ersetzte sie durch neue. Die Gruppe mit der Aufgabe, die Scheine zu verbrennen, hatte jedoch einen Weg gefunden, Scheine nach draussen zu schmuggeln.

Bei der Gerichtsverhandlung konnte die Menge der über mindestens fünf Jahre hinweg gestohlenen Gelder nicht ermittelt werden und so wurden die Angeklagten wegen "nur" zweieinhalb Millionen, die nachzuweisen waren, verurteilt. Es gab im übrigen Ende 1979 ein sensationell mildes Urteil, das die Frankfurter Rundschau in ihrem Bericht am 18.12.79 in der Überschrift so kommentierte: "Tränen der Freude bei Angeklagten". Später soll aufgrund Einspruchs der Staatsanwaltschaft das Urteil in einer höheren Instanz nach oben korrigiert worden sein.

Der Fall gewinnt an Aktualität durch ein Schreiben, das in der 3. Septemberwoche bei dem Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages (Schwarzgeld-Untersuchungsausschuss), Volker Neumann, einging. In dem Schreiben wird angefragt, ob man feststellen kann, ob aus den Diebstählen bei der Bundesbank stammende Spendengelder auf die seit Ende der sechziger Jahre durch die hessische und seit 1972 durch die Bundes-CDU eingerichteten Schwarzgeldkonten in der Schweiz gewandert sind. Schliesslich fanden die Gelddiebstähle nachweislich seit 1974, Vermutungen zufolge schon länger, statt.

Das Empfinden eines „transponierten Rechts", das den Angeklagten Kleiser nach eigenem Bekunden überfiel, kann dessen Taten mit Sicherheit nicht entschuldigen, aber was empfindet man selbst in Bezug auf ein System, in dem Kriminelle mit guten Beziehungen zu hohen Politikern abgeschirmt durch eben diese Beziehungen ihren verbrecherischen Taten jahrelang nachgehen können?

Ab wann sind Politiker, die derartige Kriminalität abschirmen, selbst Kriminelle? Hätten die beschriebenen Fälle beispielsweise in Italien oder Kolumbien stattgefunden, würde jedem die Beantwortung der Frage leicht fallen; haben sie aber nicht!