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Gabriel verkauft neue fossile Großkraftwerke als Klimaschutzmaßnahme

Regierungserklärung

Der Klimaschutz löste in den vergangenen Monaten den inzwischen etwas abgenutzten "Kampf gegen den Terrorismus" als wichtigste politische Aufgabe ab. Zugleich wurden Pläne der Energiewirtschaft bekannt, rund 45 fossile Großkraftwerke allein in Deutschland neu errichten zu wollen. Bis zum Jahr 2012 sollen offenbar 16 neue Braunkohle-, Steinkohle- und Erdgas-Großkraftwerke errichtet werden. Ebenso wie die rot-grüne Bundesregierung unterstützt auch die große Koalition die Pläne der großen Energiekonzerne für neue fossile Kraftwerke. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) stellte am 26. April im Deutschen Bundestag ein Maßnahmenpaket zur Umsetzung der EU-Klimaschutzbeschlüsse vor. Darin verkaufte er auch die neuen fossilen Großkraftwerke als Klimaschutzmaßnahme. Umweltschützer wehren sich bereits in mehreren Städten gegen die neuen Kohlekraftwerke - vor allem aus Klimaschutzgründen.

Gabriel kündigte bei seiner Regierungserklärung im Bundestag an, die Bundesregierung wolle noch in diesem Jahr ein Maßnahmenpaket zur Umsetzung der EU-Klimaschutzbeschlüsse auf den Weg bringen. Vom Ziel, bis 2012 die Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 21 Prozent zu senken, sei Deutschland noch 3 Prozentpunkte entfernt. Dabei sei man im 2006 um 0,7 Prozentpunkte zurückgefallen, statt sich auf das 21-Prozent-Ziel zuzubewegen. Ein Großteil der CO2-Reduktion Deutschlands ist auf den "Zusammenbruch" der Industrie in Ostdeutschland nach 1989 zurückzuführen, nicht aber auf die Durchführung von Klimaschutzmaßnahmen.

Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2020 um 270 Millionen Tonnen

Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich darauf verständigt, die CO2-Emissionen in Europa bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren, wenn ein neues internationales Klima-schutzabkommen zustande kommt. Nach einem Beschluss des Bundestages müsste Deutschland seinen Ausstoß von Treibhausgasen dann um 40 Prozent verringern. "Das ist ein ehrgeiziges Ziel", so Gabriel. "Aber erste Ergebnisse von Studien im Auftrag der Bundesregierung zeigen, dass das machbar ist." Man könne den CO2-Ausstoß bis 2020 um 270 Millionen Tonnen "gegenüber dem Stand von heute" reduzieren. Das übliche Bezugsjahr für die Angabe von Treibhausgasemissionen ist allerdings 1990.

Allein 55 Millionen Tonnen CO2 könne man, so das Bundesumweltministerium, durch eine Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung auf über 27 Prozent reduzieren. 41 Millionen Tonnen CO2 ließen sich den Angaben zufolge durch eine Reduktion des Energieverbrauchs durch Gebäudesanierung, effiziente Heizungsanlagen und in Produktionsprozessen vermeiden. Mit 40 Millionen Tonnen würde laut Ministerium eine Reduktion des Stromverbrauchs um 11 Prozent durch massive Steigerung der Energieeffizienz sowie zu Buche schlagen. Ebenso stark könne man den Treibhauseffekt durch eine Reduktion der Emissionen von anderen Treibhausgasen wie zum Beispiel Methan verringern.

Zu weiteren Maßnahmen zählt eine Steigerung der Effizienz im Verkehr und eine Steigerung des Anteils der Biokraftstoffe auf 17 Prozent (30 Millionen Tonnen), eine Verdoppelung "der effizienten Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung" auf 25 Prozent (20 Millionen Tonnen), sowie eine Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien im Wärmesektor auf 14 Prozent (14 Millio-nen Tonnen).

"Erneuerung des Kraftwerksparks"

Mittendrin in Gabriels Maßnahmenpaket findet sich der Neubau von Braunkohle-, Steinkohle- und Erdgas-Großkraftwerken. Das Bundesumweltministerium drückt die Pläne der Energiekonzerne etwas gefälliger aus: "Erneuerung des Kraftwerksparks durch effizientere Kraftwerke".

In einem Hintergrund des Umweltministeriums heißt es, der Anteil der Energiewirtschaft an den gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland betrage 40 Prozent. Trotz jahrelanger Klimaschutzversprechen sollen die CO2-Emissionen in der Energiewirtschaft innerhalb weniger Jahre deutlich angestiegen sein: "Seit 1999 haben die Emissionen in diesem Sektor um über 30 Millionen Tonnen zugenommen", so das Ministerium. Jetzt sollen durch neue Großkraftwerke mit etwas verbesserten Wirkungsgraden 30 Millionen Tonnen eingespart werden.

Während auch bei sehr alten Atomkraftwerken von der Energiewirtschaft und der Politik stets behauptet wird, sie könnten problemlos noch viele Jahre länger betrieben werden, wird bei den fossilen Großkraftwerken der Eindruck erweckt, als müssten sie ganz dringend durch neue ersetzt werden. So schreibt das Umweltministerium: "Viele Kraftwerke stehen an ihrem Lebensende und müssen durch neue Kraftwerke ersetzt werden."

In seiner Regierungserklärung machte sich Sigmar Gabriel vehement für neue Kohlerkaftwerke stark. "Aber machen wir uns nichts vor. Wir können bis auf weiteres nicht auf den Einsatz der Kohle für die Stromerzeugung verzichten", so der Umweltminister. Zwischen heute und Dezember 2012 würden drei große Braunkohlekraftwerke, sechs Steinkohlekraftwerke und sieben Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 12.000 Megawatt gebaut. Das Horrorgemälde von 40 neuen Kohlekraftwerken entbehre damit jede Realität.

Der Ersatz "der ineffizienten Altanlagen" durch neue fossile Großkraftwerke bringt nach Auffassung des Ministers "eine massive Entlastung für den Klimaschutz". Die neuen Kraftwerke hätten einen "so viel höheren Wirkungsgrad", dass der Atmosphäre bis zu 42 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr erspart werden könnten.

Auch wenn Gabriel den Neubau mehrerer neuer Gaskraftwerke unterstützt, wandte er sich gegen eine Dominanz dieser Technologie: Wer alleine auf Gas setze, fahre "eine Risikostrategie", so der Minister. "Gas nutzen wir heute nur zu 10 Prozent für die Stromerzeugung. Braunkohle und Steinkohle machen rund 50 Prozent unseres Strommarktes aus. Wollte man Kohle durch Gas ersetzen, müsste der Gaseinsatz ungefähr verfünffacht werden. Das sind dreiviertel des gesamten Erdgaseinsatzes in Deutschland. Um einen plakativen Vergleich zu wählen: das ist der Gasverbrauch eines Jahres von Italien. Soviel Gas ist am Markt gar nicht verfügbar und es hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf den Strompreis."

Opposition gegen Kohlekraftwerke

Der FDP-Abgeordnete Michael Kauch warf Gabriel vor, nur Ziele, aber keine Maßnahmen zur Umsetzung genannt zu haben. Die FDP trete für mehr Klimaschutz ein, aber nicht mit Verboten, sondern mit Anreizen auf globaler und nicht auf nationaler Ebene. Die Bewährungsprobe für die Bundesregierung sei daher der G8-Gipfel im Juni. Nur wenn es gelinge, die USA, China und Indien in den Klimaschutz einzubinden, seien reale Fortschritte möglich.

Kauch forderte von der Bundesregierung, Konzepte vorzulegen, wie sie Kohlekraftwerke abschaffen wolle. In diesem Zusammenhang bemängelte er auch die zögerliche Haltung der Regierung im Handel mit CO2-Emissionen. Die SPD müsse die Verantwortung übernehmen, dass der Markt für CO2-Emissionen zusammengebrochen ist: "Braunkohlekraftwerke werden weiterhin mehr Zertifikate als Steinkohlekraftwerke bekommen – das ist eine Mogelpackung. Das hat nicht mit Markt zu tun, sondern ausschließlich mit Lobbyismus, der bei der SPD ganz besonders erfolgreich ist."

In China hat der Liberale hingegen wenig Probleme mit Kohlekraftwerken. Die "Verbreitung deutscher Technik zum Klimaschutz" sei ihm ein großes Anliegen. "Die Kohle in Chinas Erde wird verbrannt werden, die Frage ist mit welcher Technik, und ich will da die deutsche Technik sehen", so Kauch.

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte ebenfalls, dass es sich bei der Klimaagenda der Bundesregierung um ein Ankündigungspaket ohne konkrete Maßnahmen handele. "Die Regierungserklärung von Umweltminister Gabriel enthält viel schöne Klimaschutzlyrik und zumindest einige vernünftige Zielsetzungen. Leider verwechselt Gabriel Ziele mit Maßnahmen, denn konkrete Lösungsvorschläge hat er nur sehr wenige zu bieten", so die ehemalige Bundesministerin. "Hier bleibt er vage und unpräzise, viele Maßnahmen sollen nur geprüft oder auf europäischer Ebene durchgesetzt werden." So werde Gabriel zum Ankündigungsminister.

"Besonders abstrus" werde es beim Emissionshandel: Die Privilegien für die Kohle und die Sonderbehandlung der Braunkohle sollten unangetastet bleiben. "Die erst auf Druck der Kommission vorgenommene Senkung der Emissionsziele wird als eigener Erfolg verkauft", kritisierte Künast. Und die von Anfang an geforderte Versteigerung von zehn Prozent der Emissionszertifikate werde "nun plötzlich von Minister Gabriel unterstützt, aber nicht durchgesetzt."

In seiner Haltung zur Kohle bleibe Sigmar Gabriel diffus und widersprüchlich. "Er muss sich entscheiden: Ist seiner Meinung nach die Nutzung der Kohle auf lange Sicht unverzichtbar oder will er ihrer Nutzung durch die Ausgestaltung des Emissionshandels angeblich klare Grenzen setzen?", fragte Künast. Beides zugleich gehe nicht. "Unsere Haltung ist klar: Die bisher bekannten Neubaupläne für Kohlekraftwerke sind mit den langfristigen Klimazielen unvereinbar. Wir wollen daher ein Kohlemoratorium - bis geklärt ist, ob die Technologie der CO2-Abscheidung und Endlagerung ökologisch sicher und wirtschaftlich zur Verfügung stehen kann. Es ist zweifelhaft, ob dies jemals der Fall sein wird, ganz sicher aber nicht vor 2020. Wird vorher massiv in Kohlekraftwerke investiert, ist dies klimapolitisch und volkswirtschaftlich unverantwortlich."

Künast griff auch den früheren Koalitionspartner SPD an. Beim Klimaschutz könnte man weiter sein, wenn nicht der frühere "Autokanzler" und sein Wirtschaftsminister blockiert hätten.

Links-Fraktionschef Gregor Gysi warnte davor, beim Klimaschutz nur auf die Marktwirtschaft zu setzen. Notwendig sei ein Primat der Politik über die Wirtschaft. Den Grünen warf Gysi vor, mit der Verteuerung von Benzin und Flügen auf Lösungen mit sozialer Ausgrenzung zu setzen.

Die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Eva Bulling-Schröter, sagte, aktuell gehe es aber vor allem darum, zu verhindern, dass in Deutschland 44 neue Kohlekraftwerke gebaut würden. "Bis zur Mitte des Jahrhunderts würde dieser Kraftwerkspark Jahr für Jahr gut 100 Millionen Tonnen mehr CO2 in die Atmosphäre blasen, als laut dem Reduktionsziel der Bundesregierung erlaubt ist", fürchtet Bulling-Schröter.

"Würden diese Kraftwerke gebaut, dann wären die Weichen der deutschen Klimapolitik für ein halbes Jahrhundert gestellt", denn sie liefen dann 40, 50 oder 60 Jahre. "Mich interessiert an dieser Stelle: Wie kommt es eigentlich zu diesen Planungen?", fragte Bulling-Schröter. Den Energieversorgern werde es "total leicht gemacht, denn sonst wären solche Planungen gar nicht möglich." Anscheinend habe die Bundesregierung keine Lust auf ernsthafte Konflikte mit den Energieversorgungsunternehmen.