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Explosion und Brand in schwedischem Atomkraftwerk Ringhals

Kühlwasserpumpe versagte

Im südschwedischen Atomkraftwerk Ringhals kam es am 14. November kurz nach Mitternacht in einem Transformator außerhalb des Reaktors 3 zu einem explosionsartigen Brand. Sofort nach der weithin zu hörenden Explosion wurde Großalarm ausgelöst. Nach Beginn des Brandes stieg eine riesige Rauchwolke aus dem Atomkraftwerk auf. Die Sicherheitssysteme mussten das Atomkraftwerk herunterfahren. Nach Angaben der schwedischen Atomaufsicht SKI folgte auf die Turbinenschnellabschaltung eine Reaktorschnellabschaltung. Auch mussten zwei Notstromdiesel starten, um das Atomkraftwerk mit Strom zu versorgen. Laut SKI ist eine für die Kühlung wichtige Pumpe des Meerwasserkühlsystems nicht angesprungen. Weiterhin gab es laut SKI Probleme mit der digitalen Kontrollanzeige der für die Reaktorschnellabschaltung wichtigen Steuerstabposition. Das Feuer konnte offenbar erst nach rund 2 Stunden unter Hinzuziehung der öffentlichen Feuerwehr gelöscht werden. Betreiber des Atomkraftwerks sind die Energiekonzerne Vattenfall und E.On. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW wies unterdessen auf Brand- und Explosionsereignisse in deutschen Atomkraftwerken hin.

Radioaktivität soll nach Angaben des Kraftwerks bei dem Vorfall in Ringhals nicht ausgetreten sein. Die gesamte Kernkraftwerksanlage bleibe allerdings "für mindestens zwei Wochen" abgeschaltet. Die Brandursache wird nach Angaben des Sprechers gegenwärtig noch untersucht. Der durch das Feuer zerstörte Transformator befinde sich außerhalb des Reaktorgebäudes. Er ist einer von vier Transformatoren, die das gesamte Areal mit Strom versorgen.

Das Atomkraftwerk Ringhals ist nach Angaben von Vattenfall der größte Reaktor in Skandinavien. Die Anlage befindet sich an der Südwestküste Schwedens 60 Kilometer südlich von Göteborg, nahe der Grenze zu Dänemark.

Nach Darstellung der Ärzteorganisation IPPNW gehören "Brände und Explosionen zu den gefährlichsten möglichen Auslösern einer Atomkatastrophe". Im März 1994 brannte laut IPPNW im deutschen Atomkraftwerk Biblis A der Motor einer Hauptkühlmittelpumpe in unmittelbarer Nähe des Hauptkühlkreislaufes, weil es aufgrund eines bei Wartungsarbeiten in dem Motor vergessenen Stahlmeißels zu einem Kurzschluss gekommen war. Im deutschen Atomkraftwerk Brunsbüttel sei es am 14. Dezember 2001 sogar zu einer Wasserstoffexplosion gekommen. Dabei wurde eine Rohrleitung auf einer Länge von etwa drei Metern in unmittelbarer Nähe zum Reaktorkern zerfetzt.

Gerade in alten deutschen Atomkraftwerken sei der Brandschutz zum Teil "katastrophal", kritisiert ein Sprecher der Organisation. "Die Sicherheitssysteme sind häufig nur unzulänglich räumlich getrennt, so dass sie bei einem Brand vollständig ausfallen können. Es gibt zum Teil Ölbehälter im Sicherheitsbehälter, so dass es zu großen und schwer löschbaren Bränden kommen kann. Auch sind in Altanlagen noch immer zahlreiche PVC-Kabel verlegt, die leicht entflammbar sind. In den Sicherheitsbehältern aller deutscher Atomkraftwerke gibt es keine automatisierte Brandbekämpfung."

Die Vorkommnisse zeigten, dass es auch in westlichen Ländern jederzeit zum Super-GAU kommen könne. "Diese Technik ist nicht beherrschbar", so die IPPNW. "Wir müssen jetzt in Deutschland zügig die Atomkraftwerke abschalten und aus diesem gefährlichen Abenteuer endlich aussteigen. Schon morgen kann es in Europa zu einem zweiten Tschernobyl kommen."

Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte von der Bundesregierung Konsequenzen. Die alten deutschen Atomkraftwerke müssten sofort vom Netz genommen und alle weiteren so schnell wie technisch möglich abgeschaltet werden.

Störfall im Atomkraftwerk Forsmark

Erst am 25. Juli kam es im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark-1 beinahe zu einem Unfall gekommen. Ein Lichtbogen und ein Kurzschluss außerhalb des Vattenfall-Atomkraftwerks hatte dazu geführt, dass es zu einer Trennung des Kraftwerks vom Stromnetz kam. Danach kam es zum Versagen der Stromversorgung des Atomkraftwerks durch den kraftwerks-eigenen Generator.

Damit war "der gefürchtete Notstromfall" eingetreten, so dass die Stromversorgung der wichtigsten Sicherheitssysteme durch die Notstromdiesel-Aggregate hätten gewährleistet werden müssen. Zwei Dieselaggregate waren allerdings nicht automatisch angesprungen, da es in der Kraftwerkssteuerung zu so genannten Überspannungen gekommen war. Lars-Olov Höglund, der als langjähriger Chef der Konstruktionsabteilung des schwedischen Vattenfall-Konzerns für deren Atomkraftwerk in Forsmark zuständig war und den Reaktor gut kennt, kommentierte: "Es war ein reiner Zufall, dass es zu keiner Kernschmelze kam." Wäre der Reaktor nur sieben Minuten länger nicht unter Kontrolle gewesen, wäre die Katastrophe laut Höglund nicht mehr aufzuhalten gewesen.

Kinderkrebsregister widerlegt sich selbst

Eine neue Untersuchung des Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz hat zum Ergebnis, dass das Risiko für Kinder, an Leukämie zu erkranken, mit zunehmender Nähe zu einem Atomkraftwerk zunimmt. Das Bundesamt für Strahlenschutz, das die Studie in Auftrag gegeben hat, teilte mit, dass "nachweislich das Risiko für Kinder an Leukämie zu erkranken umso größer ist, je näher sie am Reaktor wohnen". Die von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW angestoßene Studie ergab eine um 60 Prozent erhöhte Krebsrate und ein 120 Prozent erhöhtes Leukämie-Risiko für Kinder unter 5 Jahren, die im 5-Kilometer-Umkreis von Atomkraftwerken wohnen. Die Studie umfasst die Standorte aller deutschen Atomkraftwerke und einen langen Studienzeitraum von 24 Jahren (1980-2003). Das Studienergebnis, wonach das Krebsrisiko mit zunehmender Nähe zu Atomkraftwerken steigt, ist unstrittig.

Ein vom Bundesamt für Strahlenschutz eingesetztes Expertengremium, das die Studie kritisch begleitete, vertritt jedoch die Ansicht, dass das Mainzer Kinderkrebsregister die Randbedingungen der Studie so gesetzt hat, dass das ganze Ausmaß des Problems nicht erkennbar wird.

Die "Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken" (KiKK-Studie) war 2001 von der IPPNW und der Ulmer Ärzteinitiative durch eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit eingefordert worden, nachdem eine von der IPPNW initiierte Studie, durchgeführt von Dr. Alfred Körblein (damals Umweltinstitut München), schon 1998 signifikant erhöhte Kinderkrebsraten in der Umgebung von bayerischen Atomkraftwerken ergeben hatte.

Körbleins Arbeiten wurden 1998 bestritten und 2007 amtlich bestätigt

Doch die Strahlenschutzbehörde erkannte damals Körbleins Berechnungen nicht an. Das Mainzer Kinderkrebsregister stellte sogar die wissenschaftliche Kompetenz von Körblein in Frage.

Für den niedergelassenen Arzt und IPPNW-Mitglied Reinhold Thiel, der in der Nähe des Atomkraftwerks Gundremmingen bei Ulm praktiziert, war das eine Herausforderung. Er sorgte für massiven öffentlichen Druck und dafür, dass über 10.000 Protestbriefe aus der Bevölkerung bei Behörden und Ministerien eingingen. Im Juli 2001 schließlich erkannte das Bundesamt für Strahlenschutz Körbleins Berechnungen an und akzeptierte die Notwendigkeit weiterer Studien. 2003 wurde die aktuelle Studie beim Kinderkrebsregister unter Leitung von Professorin Maria Blettner in Auftrag gegeben.

Im Dezember 2007 - also neun Jahre nach ersten Veröffentlichungen von Körblein - liegt nun das amtliche Ergebnis vor. Mit seiner aktuellen Studie bestätigt das Deutsche Kinderkrebsregister in Mainz nun das, was 1998 Körblein an der Mainzer Studie von 1997 kritisiert hatte: Es gibt erhöhte Krebsraten in der Nahumgebung von Atomkraftwerken.

BfS-Chef König: Das Risiko für Kinder, an Leukämie zu erkranken, ist umso größer, je näher sie am Reaktor wohnen

Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, sagte am 10. Dezember, das Ergebnis der Studie sei belastbar. Die Studie stelle "den entscheidenden Fortschritt bei der Beantwortung der seit etwa 30 Jahren diskutierten Frage nach gesundheitlichen Effekten in der Umgebung von Reaktoren dar, da hier ein neuer, epidemiologisch anspruchsvollerer Ansatz als bisher angewandt wurde".

"Erstmals konnten in einer so genannte Fall-Kontroll-Studie exakte Angaben zur Entfernung eines Wohnortes von einem Reaktor, und zwar sowohl für erkrankte als auch für nicht erkrankte Kinder, berücksichtigt werden", so König.

Die deutsche Studie bestätigt offenbar auch Ergebnisse internationaler Untersuchungen. "Das Ergebnis passt zu ähnlichen Untersuchungen, die weltweit durchgeführt werden", so König. In einer so genannte Metaanalyse, in der bisherige ökologische Studien zum Auftreten von Krebs im Kindesalter in der Umgebung von Kernkraftwerken zusammengefasst und ausgewertet wurden, sei 2007 ebenfalls ein solcher Zusammenhang festgestellt worden. "Überraschend ist jedoch, dass nachweislich, das Risiko für Kinder, an Leukämie zu erkranken, umso größer ist, je näher sie am Reaktor wohnen", so König.

Expertengremium: Die Studie unterschlägt das tatsächliche Ausmaß der Krebserkrankungen

Die Strahlenschutzbehörde hat die Studie durch ein 12-köpfiges externes Expertengremium begleiten lassen. Das Expertengremium kritisierte in einer Stellungnahme vom 10. Dezember, dass dass in der Studie lediglich ein Radius von fünf Kilometern berücksichtigt wurde, "während die übrigen Anteile des Untersuchungsgebietes außer acht blieben, obwohl auch dort signifikant erhöhte Risiken berechnet wurden".

Die Experten befassten sich daher auch mit den erhöhten Krebserkrankungen jenseits des 5-Kilometer-Umkreises. Statt der von den Autoren der Studie allein für die 5-Kilometer-Region angegebenen zusätzlichen 29 Krebsfälle bei Kindern unter 5 Jahren müsse "von mindestens 121-275 zusätzlichen Neuerkrankungen im Umkreis von 50 Kilometern um alle westdeutschen Atomstandorte im Zeitraum zwischen 1980-2003 ausgegangen werden", schreiben die Experten. Dies entspreche bis zu 18 Prozent aller im 50-Kilometer-Umkreis um Atomanlagen aufgetretenen Krebserkrankungen bei unter 5jährigen Kindern.

Sowohl die Autoren der Studie als auch das Expertengremium verglichen die zusätzlichen Krebsfälle mit allen im Deutschen Kinderkrebsregister gespeicherten Erkrankungsfälle im gleichen Zeitraum. Die 29 zusätzlichen Krebsfälle in der 5-Kilometer-Region machen demnach einen Anteil von 0,22 Prozent aller erfassten Krebsfälle aus. Setzt man die 121-275 zusätzlichen Neuerkrankungen im Umkreis von 50 Kilometern in Bezug zu allen gespeicherten Erkrankungsfälle, so kommt man nach Angaben des Expertengremiums aber auf einen Anteil zwischen 1,03 und 2,35 Prozent. Im Klartext: Die deutschen Atomkraftwerke könnten für ein bis mehr als zwei Prozent aller Krebsfälle verantwortlich sein.

Das Expertengremium kritisiert obendrein, dass die "Bezugspopulation" für die Berechung des Anteiles aller Krebs- und Leukämiefälle bei Kindern unter 5 Jahren "nicht korrekt bestimmt" worden sei. In der Konsequenz sei daher "der tatsächlich auf die Wohnnähe zu Atomstandorten zurückzuführende Anteil der Krebsfälle" unterschätzt worden.

Das Mainzer Kinderkrebsregister vertritt die Auffassung, dass die erhöhten Krebszahlen nicht mit den ständigen radioaktiven Emissionen der Atomkraftwerke erklärt werden könne. Zur - eher hypothetischen - Erklärung des von ihnen nachgewiesenen Risikos um Atomkraftwerke mutmaßt das Kinderkrebsregister, die Krebserkrankungen könnten auf unbekannte Faktoren, auf in der Studie nicht näher beschriebene "Selektionsmechanismen" oder auf den statistischen Zufall zurückzuführen sein.

Auf dieser Grundlage erklärte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: "Nach derzeitigem wissenschaftlichem Kenntnisstand kann der beobachtete Anstieg der Erkrankungen nicht durch die Strahlenbelastung aus einem Atomkraftwerk erklärt werden."

Das Expertengremium findet die etwas hilflosen Erklärungsversuche des Mainzer Kinderkrebsregister allerdings nicht überzeugend: "Alle drei Erklärungsansätze hält das externe Gremium angesichts der Studienergebnisse für unwahrscheinlich."

Auch die Vorsitzende der Ärzteorganisation IPPNW, Angelika Claußen meint: "Bei diesen massiven Befunden an jedem deutschen Atomkraftwerks-Standort ist eine strahlenbedingte Ursache auf jeden Fall hoch wahrscheinlich. Wer jetzt noch über Zufall spricht, macht sich lächerlich."

IPPNW: Die Strahlenschutz-Grenzwerte müssen überprüft und die Atomkraftwerke stillgelegt werden

Die derzeitigen deutschen Strahlenschutzgrenzwerte, auf die sich Gabriel stützt, sind nach Auffassung der IPPNW "wissenschaftlich offensichtlich längst nicht mehr haltbar". So habe das EU-Forschungsprojekt "Soul" seinem Leiter Dr. Peter Jacob vom GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit zufolge etwa 4mal höhere Strahlenschäden in der Umgebung der russischen Atomwaffenschmiede Majak festgestellt als nach dem Risikomodell, das der deutschen Strahlenschutzverordnung zugrunde liegt, zu erwarten wären. Das bedeute, "dass die deutschen Strahlenschutzgrenzwerte offensichtlich zu hoch angesetzt sind", so die IPPNW. Im Übrigen sei inzwischen "weitgehend unstrittig, dass es für die gesundheitlichen Auswirkungen von Radioaktivität keinen Schwellenwert gibt".

Insofern sei es "zu kurz gegriffen", wenn Minister Gabriel eben diese Grenzwerte als Grundlage nehme, "um vor laufenden Kameras zu behaupten, ein Zusammenhang zwischen den Atomkraftwerken und den Krebserkrankungen sei zweifelhaft". Man sei sich inzwischen "einig darin, dass Krebs und Leukämie zunehmen, je dichter Kinder an Atomreaktoren wohnen". Die IPPNW meint daher, dass nicht die aktuellen Studienergebnisse überprüft werden müssten, "sondern die derzeit gültigen Strahlenschutz-Grenzwerte". Das im europäischen Umweltrecht verankerte "Vorsorgeprinzip" gebiete es zudem, die deutschen Atomkraftwerke umgehend stillzulegen.

Am 10-12-2007

Kritik an Vattenfall

Nach dem tagelangen Brand im Atomkraftwerk Krümmel gerät dessen Betreiber Vattenfall Europe zunehmend in die Kritik. Nach Angaben der Reaktoraufsicht war es bei der Schnellabschaltung nach dem Trafo-Brand am 28. Juni "durch ein unplanmäßiges Öffnen von zwei Sicherheits- und Entlastungsventilen zu einem schnellen Druck- und Füllstandsabfall im Reaktordruckbehälter" gekommen, in dem sich die Brennelemente befinden. Außerdem war eine von mehreren Speisewasserpumpen ausgefallen. Offenbar hat man gerade noch mal Glück gehabt: "Es war trotzdem jederzeit genügend Wasser über den Brennstäben", sagte Ministeriumssprecher Oliver Breuer. Umweltverbände werfen dem Unternehmen ungenügende Informationspolitik vor. Der Konzern wirke unglaubwürdig, wenn erst jetzt zugegeben werde, dass der Zwischenfall schwerer gewesen sei als angenommen, kritisierte die Umweltorganisation BUND. Dass, wie von Vattenfall behauptet, zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Bevölkerung bestanden habe, sei angesichts der jüngst bekannt gewordenen Störungen zu bezweifeln. Sowohl Vattenfall als auch das Kieler Sozialministerium als Reaktoraufsichtsbehörde wiesen die Vorwürfe am 4. Juli zurück.

Vattenfall Europe hat die Behörde nach Unternehmensangaben bereits am Donnerstag über Auffälligkeiten bei der Abschaltung des Atommeilers in Kenntnis gesetzt. "Wir haben die Öffentlichkeit sofort über den Trafo-Brand und die Schnellabschaltung des Kraftwerks informiert", sagte Geschäftsführer Bruno Thomauske in Hamburg. Das Unternehmen habe der Aufsichtsbehörde ordnungsgemäß Auffälligkeiten im Ablauf unmittelbar gemeldet.

Thomauske war einst als Beamter beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für die Genehmigung der neuen Standort-Zwischenlager tätig und wurde anschließend Manager der Atomindustrie.

Die Umweltorganisation BUND warf dem Konzern vor, unglaubwürdig zu wirken, wenn erst jetzt zugegeben werde, dass der Zwischenfall schwerer gewesen sei als angenommen. Der Naturschutzbund (NABU) Schleswig-Holstein unterstellte den Betreibern eine Verharmlosung des Unfalls.

Die beiden Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel waren am Donnerstag vergangener Woche abgeschaltet worden, nachdem es zunächst in Brunsbüttel einen Kurzschluss gegeben hatte. Dabei kam es zu einem Schwelbrand an der Turbine. Knapp zwei Stunden später brach auf dem Gelände des KKW Krümmel in einem Transformatorgebäude ein Feuer aus. Nach Angaben von Vattenfall hatte ein Kurzschluss im Transformator dort Öl entzündet. Brunsbüttel ist seit Sonntagnachmittag wieder am Netz.

IPPNW: Gefährliche Fehlkonstruktion in deutschen Atomkraftwerken Nach Angaben der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW besteht in 12 deutschen Atomkraftwerken ein erhöhtes Risiko für gefährliche Brände im Reaktorgebäude innerhalb des Containments (Sicherheitsbehälter), weil sich dort ungünstigerweise große Ölbehälter befänden. Das Öl sei erforderlich, um die Hauptkühlmittelpumpen zu schmieren, die den Primärkreislauf der Atomkraftwerke umwälzten. Die Anordnung dieser Ölinventare innerhalb des Containments sei nach Auffassung der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) aus brandschutztechnischer Sicht nachteilig, teilte die Organisation unter Berufung auf ihr vorliegende Informationen mit.

Von dem Problem betroffen sind laut IPPNW die Siedewasserreaktoren Krümmel, Brunsbüttel, Philippsburg-1, Gundremmingen B, Gundremmingen C und Isar-1 sowie die Druckwasserreaktoren Biblis B, Unterweser, Neckarwestheim-1, Grohnde, Brokdorf und Philippsburg-2. Nach Auffassung der Organisation handelt es sich dabei um eine "gefährliche konzeptionelle Fehlkonstruktion" dieser von Siemens errichteten Anlagen.

Aus brandschutztechnischer Sicht sei darüber hinaus auch der Umstand äußerst nachteilig, dass offenbar in 11 deutschen Atomkraftwerken PVC-Kabel innerhalb des Containments verlegt wurden. Besonders gefährdet seien dadurch die Anlagen Krümmel, Brunsbüttel, Philippsburg-1, Gundremmingen B, Gundremmingen C, Isar-1, Biblis A, Biblis B, Unterweser, Neckarwestheim-1 und Grohnde.

Die GRS weise außerdem auf Alterungsprozesse bei den Kabelisolierungen hin. In alten Atomkraftwerken müsse daher mit einem deutlich erhöhten Risiko von Kurzschlüssen und Kabelbränden gerechnet werden.

In allen deutschen Atomkraftwerken stellen den Angaben zufolge Brände eine große Gefahr dar, weil die Löschanlagen nicht automatisch aktiviert würden. So müssten die Löschanlagen manuell ausgelöst werden. Wenn sich dann die Löschflüssigkeiten über die sensiblen elektrotechnischen Einrichtungen ergießen würden, könne nicht ausgeschlossen werden, dass es gerade durch den Löschvorgang zum Versagen von Sicherheitssystemen komme, warnt die IPPNW. Die GRS spreche daher von einem "Zielkonflikt", der bei einem Brand im Containment bestehe. Laut IPPNW kann es aus den verschiedensten Gründen zu Bränden kommen. Eine besondere Gefahr stellen nach Einschätzung der Organisation menschliche Fehler bei Wartungsarbeiten dar. Im März 1994 beispielsweise brannte den Angaben zufolge in Biblis A innerhalb des Containments der Motor einer Hauptkühlmittelpumpe, weil es aufgrund eines bei Wartungsarbeiten in dem Motor vergessenen Stahlmeißels zu einem Kurzschluss gekommen war. In Biblis B sei es im März 2003 wegen Wartungsarbeiten zu einem Schwelbrand innerhalb des Containments gekommen.

Der Umstand, dass jetzt im Atomkraftwerk Krümmel ein Transformator tagelang brannte, zeigt nach Auffassung der Atomkritiker, "dass diese Technik nicht beherrschbar ist". Schon morgen könne es in Europa zu einem zweiten Tschernobyl kommen.

Am 04-07-2007

Siemens-Tochter lieferte schadhafte Bauteile

Das niedersächsische Umweltministerium hat "vorsorglich" die Staatsanwaltschaft Hannover darüber informiert, dass eine Tochtergesellschaft von Siemens Bauteile für das Atomkraftwerk Unterweser geliefert hat, deren Qualität offenbar nicht den geforderten sicherheitstechnischen Ansprüchen genügt. An drei von vier dieser für die Kühlung des Atomreaktors wichtigen Komponenten wurden kürzlich Risse mit bis zu 26 Zentimeter Länge gefunden. Alle vier sogenannte "Zwischenkühler" waren innerhalb der letzten drei Jahre ausgetauscht und durch neue ersetzt worden. Nach Angaben des Umweltministeriums wichen die Schweißnähte der neuen Zwischenkühler bezüglich der Breite und Stärke von den Angaben in der Dokumentation ab. Weiterhin teilte die Behörde mit, dass bei einer speziellen Schweißnaht offenbar bereits bei dem von der Siemens-Tochter beauftragten Lieferanten umfangreiche Reparaturmaßnahmen vorgenommen wurden. Eine Sprecherin des Ministeriums sagte, man gehe üblicherweise davon aus, dass die Produkte für Atomkraftwerke neuwertig seien. Daher seien die Bauteile beim Einbau in das dem E.ON-Konzern gehörenden Atomkraftwerk (Werbeslogan "Neue Energie") nicht geprüft worden. Der TÜV Nord attestierte bei zwei Bauteilen "gravierende Qualitätsmängel". Die Staatsanwaltschaft soll prüfen, ob Betrug, Urkundenfälschung oder Untreue vorliegen. "Das gesamte System der Kontrolle und Qualitätssicherung bei den Herstellern dieser Zwischenkühler muss auf den Prüfstand", urteilte Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD). Die Siemens-Tochter "Framatome ANP", ein deutsch-französisches Joint-Venture ist der weltweit größte Hersteller von Atomkraftwerken und Lieferant von Atomkraftwerks-Komponenten. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW und andere Verbände rufen vor diesem Hintergrund seit Jahren zu einem Boykott von Siemens-Produkten auf.

Bereits im Februar 2000 hatte es im Atomkraftwerk Unterweser einen ähnlichen Skandal um mangelnde Qualitätssicherung gegeben. Damals hatte Siemens Brennelemente geliefert, deren Sicherheitsnachweise vom Hersteller British Nuclear Fuels gefälscht worden waren. Das Atomkraftwerk musste abgeschaltet und die Brennelemente aus dem Reaktor genommen werden.

Laut Atomgesetz dürfen Atomkraftwerke nicht betrieben werden, wenn die "Zuverlässigkeit der Betreiber" nicht gewährleistet ist. "Die Frage der Zuverlässigkeit der Betreiberin des Kernkraftwerkes Unterweser stellt sich" für Umweltminister Jüttner in diesem Zusammenhang jedoch nicht. Allerdings: "Es handelt sich hier um ein sehr ernsthaftes Problem."

Ein ernsthaftes Problem sieht auch Greenpeace: "Im Atomkraftwerk Unterweser gehört Pfusch nach wie vor zum Alltag. E.ON läßt sich von Siemens neue Atomkraftwerks-Teile liefern, die nicht dem genehmigten Standard entsprechen - und das schon zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren", so die Atom-Expertin Susanne Ochse. "Hier stellt sich die Frage, ob das Schlamperei oder Methode ist." Greenpeace fordert Konsequenzen: "Lieferanten, die bei der ohnehin hoch gefährlichen Atomtechnik auch noch Pfusch abliefern, gehören aus dem Verkehr gezogen."

Menschliches Versagen führte am 20. März 1999 im Atomkraftwerk Unterweser bereits zu einem bedeutenden Störfall beim Austausch eines der besagten Zwischenkühler. Für den Wechsel des Bauteils mussten zunächst Rohrleitungen an den geplanten Trennstellen "vereist", abgeschnitten und verschlossen werden. An einem dieser sicherheitstechnisch bedeutenden Kühlmittelrohre löste sich nach einiger Zeit ein "Rohrstopfen", so dass das Kühlwasser den sogenannten "Ringraum des Reaktorgebäudes" überflutete. Es gelang, den Vorgang wieder zu stoppen. Laut amtlicher Störfall-Meldeliste versagte der Rohrverschlussstopfen, weil "entgegen dem Instandhaltungsplan vom Instandhaltungspersonal ein nicht geeigneter Verschlussstopfen eingesetzt worden war."

Menschliches Versagen führte auch schon am 6. Juni 1998 zu einem schweren Störfall in Unterweser. Zwei zuvor für Wartungsarbeiten außer Betrieb genommene Sicherheitsventile waren anschließend nicht wieder aktiviert worden. Am 6. Juni kam es dann nach einer Störung in der Turbinenölversorgung zu einer Kette automatischer Reaktionen, bei denen sich die beiden Sicherheitsventile nicht wie gewünscht geöffnet haben. Wären mehr Sicherheitsventile nicht funktionsfähig gewesen, hätte es zum Super-GAU kommen können.

Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW rechnet mit einer Zunahme von Fällen menschlichen Versagens. Seit Jahren kritisiert sie, dass wegen des zunehmenden Kostendrucks aufgrund der Liberalisierung der Strommärkte bei Wartungsarbeiten in Atomkraftwerken zunehmend gepfuscht werde. Die Organisation verweist auf einen Bericht von Siemens, wonach der Atomkonzern bei Wartungs- und Reperaturarbeiten bis zu 40 Prozent Hilfskräfte einsetzt. Die Wartungsmannschaften von Siemens müssten unter einem gewaltigen Zeitdruck in 10-Stunden-Schichten sicherheitsrelevante Reperaturen durchführen. Neue Instandhaltungskonzepte hätten zudem zu einer Verringerung der Zahl der sicherheitstechnischen Prüfungen geführt.

Doch nicht nur die Hilfskräfte, sondern auch die Nuklearexperten stehen offenbar immer wieder vor neuen Rätseln. In seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage gestand Umweltminister Jüttner am 21. November ein, dass selbst Reaktorspezialisten die Risiken offenbar nicht hinreichend einschätzen können: "Denn niemand von den Fachleuten hatte damit gerechnet, dass sich bei dieser Prüfung so deutliche Spuren im Material zeigen würden. Wir müssen also herausfinden, woran liegt das: Liegt es am Material, liegt es an einer besonderen Belastung, liegt es an der Konstruktion?"

Ohne die "Belastung" des Materials einschätzen zu können, war sich der Minister dennoch sicher, dass Schäden, Leckagen oder gar ein Bruch der Rohrleitung nicht zu erwarten gewesen wären. Dies könne man schließen aus den bisherigen Prüfergebnissen, aus den "Kenntnissen zum Materialverhalten und den Belastungen auf den Stutzen". Jüttner erklärte, dass derartige Risse "beherrscht" werden würden, "ohne dass Menschen oder Umwelt gefährdet werden. Auch ist in diesen Fällen immer gewährleistet, dass die Wärme aus dem Primärkreis abgeleitet wird."

Die schadhafte Stelle befindet sich nach Angaben des Ministeriums in einem Rohrleitungsbereich, der für die Bespeisung des Dampferzeugers mit Wasser und damit für die Wärmeabfuhr aus dem Primärkreis von entscheidender Bedeutung ist. Bei einem großen Leck in diesem Bereich stellt sich die Frage einer ausreichenden Kühlung des Reaktorkerns.

E.ON teilte am 22. November in einer Presseinformation mit, das Unternehmen prüfe derzeit die Wärmetauscher umfassend im Hinblick auf die Qualitätsanforderungen. "Eine Beeinträchtigung des sicheren Betriebs der Anlage war durch die Abweichungen nicht gegeben".

Nach Auskunft der niedersächsischen Atomaufsicht waren bereits bei einer früheren Prüfung im Jahr 1995 an der gleichen Stelle Anzeichen festgestellt worden, die E.ON allerdings nicht als "Befund" einstufte. Umweltminister Jüttner bestätigte, dass die Messergebnisse der damaligen Prüfung "eindeutig unterhalb der so genannten Registriergrenze" lagen. Bei der angewandten Ultraschalltechnik stellt die Registriergrenze nach dem kerntechnischen Regelwerk eine Schwelle dar. "Ab dieser Schwelle müssen weitere Bewertungen erfolgen."

Auf die unterlassenen Bewertungen folgten in den Jahren 1998 und 1999 die beiden Störfälle. Am 4. September diesen Jahres musste Unterweser vorzeitig vom Netz genommen werden, weil der Generator defekt war und ausgetauscht werden musste. Seitdem steht der Reaktor still, weil man die Risse fand. Das Atomkraftwerk soll wieder ans Netz gehen, sobald alles "aufgeklärt" ist.

Am 27-11-2002