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Medien rüsten gegen Kriegs-Kritikerin Käßmann

Rudeljournalismus

Es ist für die kampferprobten Massenmedien ein gefundenes Fressen: Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, ist mit 1,54 Promille Alkohol im Blut am Steuer von der Polizei gestoppt worden. Eine Verfehlung, die niemand gut heißen würde, Käßmann selbst sprach von einem "schlimmen Fehler". Als erstes schlug Springers "Bild-Zeitung" zu, in kürzester Zeit gab es viele hundert Medienberichte. Käßmann ist eine Person des öffentlichen Interesses und muss es sich grundsätzlich gefallen lassen, dass über Verfehlungen berichtet wird. Aber möglicherweise war nicht der Alkohol am Steuer der "schlimme Fehler", der jetzt all die vielen Medien aktiviert.

Anfang des Jahres hatte Käßmann vorsichtig Kritik am Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan geäußert.

War das der schlimme Fehler, der jetzt "Bild", "Welt", "Spiegel Online", die "Tagesschau" und viele andere Massenmedien in Stellung bringt? Schon werden von manchen Medien Rücktrittsforderungen eingefordert, die bislang noch niemand so richtig erhoben hat. Wird Margot Käßmann das nächste Opfer eines Rudeljournalismus, dem schon die SPD-Politiker Kurt Beck und Andrea Ypsilanti zum Opfer fielen?

Der NDR hat die EKD im Namen der "Tagesschau" offenbar schon mal nach möglichen Rücktrittsforderungen befragt. So heißt es im NDR-Bericht vom 23. Februar: "EKD-Sprecher Reinhard Mawick erklärte, ihm sei bislang nichts über etwaige Rücktrittsforderungen gegen Käßmann bekannt."

FAZ: "Super-GAU, der Konsequenzen haben muss"

Deutlich schärfer geht bereits die "Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)" in ihrer Online-Ausgabe vom 23. Februar vor. Sie titelt: "Nach Käßmanns Alkoholfahrt - Super-GAU, der Konsequenzen haben muss". Die FAZ zählt zur Speerspitze der einflussreichen Medien, die konsequent eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik verlangen. Das mag für die FAZ der Grund sein, jetzt indirekt den Rücktritt von Käßmann zu fordern.

Der Beitragstitel der FAZ geht auf einen Bericht der "Leipziger Volkszeitung" zurück, die einen konservativen Pfarrer zitiert: Demnach hat der Hamburger Pfarrer Ulrich Rüß, Leiter der konservativen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, den Vorfall als "Super-GAU" bezeichnet, der Konsequenzen haben müsse.

"Spiegel-Online": Wie üblich subtil bis schäbig

"Spiegel-Online" beweist mit einem Bericht vom 23. Februar wieder einmal meisterliche Fähigkeiten im subtilen bis schäbigen Beschädigen politisch missliebiger Personen. "Margot Käßmann gerät massiv unter Druck", so der Leitsatz in dem Artikel nach dem Vorpann. Weiter unten dann Spiegel-typisch herabwürdigend die Mitteilung, dass noch offen sei, ob Käßmann zur Wiedererlangung ihres Führerscheins den sogenannten "Idiotentest" machen müsse. Dann zitiert Spiegel-Online die "Bild" und bestätigt, dass das Springer-Blatt korrekt berichtet habe.

Im Abspann macht Spiegel-Online schließlich unmissverständlich deutlich, worum es eigentlich geht: "Käßmanns bisherige Amtszeit war bestimmt von der Kontroverse um ihre Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. 'Nichts ist gut in Afghanistan', hatte die Bischöfin in ihrer Neujahrspredigt gesagt, und damit viel Protest, auch aber Unterstützung erfahren."

Kurt Beck: Verhandlungen mit gemäßigten Taliban

Der einstige SPD-Vorsitzende Kurt Beck wurde von Massenmedien so unter Druck gesetzt, bis er schließlich seinen Rücktritt erklärte. Politische Beobachter führten die Medienkampagne, die teilweise heftig als "Rudeljournalismus" kritisiert wurde, auf zwei Ursachen zurück.

Zum einen hatte die SPD-Spitze unter Kurt Beck der hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti freigestellt, eine durch die Linke tolerierte rot-grüne Mindertheitenregierung zu bilden. Zum zweiten hatte sich Beck in Afghanistan für Friedensverhanlungen mit gemäßigten Taliban ausgesprochen.

So titelte das "Handelsblatt" am 3. April 2007 (Online-Ausgabe): "Beck schockiert mit Afghanistan-Plänen". Es folgte der Vorspann: "Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hält eine neue Afghanistan-Friedenskonferenz für sinnvoll. Sogar die Taliban könnten daran teilnehmen, meint er. Die Reaktionen auf den Vorstoß ließen nicht lange auf sich warten."

Käßmann: Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan.

Jetzt bekommt Bischöfin Margot Käßmann zu spüren, dass Kriegs-Kritik von deutschen Eliten und Massenmedien nicht hingenommen wird.

Hier die Worte zum Afghanistan-Krieg in ihrer Weihnachtspredigt an Heiligabend (24.12.2009) in der Marktkirche Hannover:

"Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die von der Botschaft der Engel her ein mutiges Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von einer anderen Gesellschaft zu reden und mich für sie einzusetzen. Ja, das ist für mich die weihnachtliche Botschaft: Mut zum Frieden gegen alle vorfindlichen Verhältnisse.

Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir heute Morgen etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan.

Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Da kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen. Vor zwanzig Jahren haben viele Menschen die Kerzen und Gebete in der DDR belächelt ..."