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GRÜNE und Patriots: Deeskalieren durch Miteskalieren?

Von Uli Cremer

Das vom Bundeskabinett verabschiedete Mandat vom 6.12.12 bestätigt, dass es zwischen der Bundesregierung und den beiden Oppositionsparteien GRÜNE und SPD keine tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Verlegung der Patriots an die syrische Grenze gab und gibt. Offenbar lehnt nur die LINKE die Maßnahme ab. Jürgen Trittin hat Zustimmung signalisiert, wenn die Bundesregierung auch noch die Stationierungsorte für die Patriots verrät. Auch andere GRÜNE Abgeordnete scheinen sich an den GRÜNEN BDK-Beschluss vom 16.11.12 zu Syrien nicht gebunden zu fühlen. Einigkeit besteht darin, dass man dem „türkischen Wunsch“ nachkommen müsse, es bestehe eine Bündnispflicht (so auch Jürgen Trittin). Vertraglich gibt es dazu allerdings keine Grundlage: Der Bündnisfall nach Artikel V des NATO-Vertrages ist nicht ausgerufen und selbst wenn, gäbe es keine militärische Beistandspflicht. Andere NATO-Länder könnten auch das berühmte Beileidstelegramm schicken.

Die dem Wunsch zugrunde liegende Bedrohungsanalyse ist ebenfalls Konsens zwischen Regierung, SPD und vielen GRÜNEN: Die Türkei werde potentiell von Syrien bedroht, nicht umgekehrt. Dass die von der Türkei bestellten Waffen (die Patriots) gegen bisher erfolgte Granateinschläge auf türkischem Gebiet völlig ungeeignet sind, weiß jeder, aber es ficht manche nicht an. Pünktlich zum Entscheidungstermin wurde noch eine weitere Bedrohung der Türkei durch syrische Chemie-Waffen konstatiert. Dem Assad-Regime wurde bedeutet, der Einsatz von Chemie-Waffen sei „eine rote Linie“. Bei Überschreitung: NATO-Militärintervention! Umgekehrt zog das Assad-Regime seine rote Linie und kündigte an, Chemie-Waffen gegen Staaten einzusetzen, die in Syrien militärisch intervenierten. Statt rote Linien zu beschwören, die am Ende in militärische Eskalationsspiralen und Eigendynamik führen, ist Deeskalation gefragt. Genau darum haben die Patriots an die syrische Grenze nichts zu suchen.

Der Zusammenhang zwischen Patriots und geplanter Flugverbotszone wird sowohl im NATO-Beschluss vom 4.12.12 wie auch im deutschen Kabinettsbeschluss ausdrücklich verneint. Das kann man glauben, muss man aber nicht.

Denn wie passt das dazu, dass gleichzeitig Medien wie New York Times und Spiegel über US-Militärplanungen berichten, mit 75.000 Soldaten in Syrien zu intervenieren und eine Pufferzone in Syrien einzurichten? „Mit logistischer Unterstützung der USA soll laut Milliyet die türkische Luftwaffe auch die Kontrolle des Luftraums über der Pufferzone übernehmen. Die deutschen Patriots wären in diesem Szenario dann dafür da, die türkische Luftwaffe gegen syrische Angriffe zu schützen.“ (Andreas Zumach in der taz vom 7.12.2012)

Und wie passt es dazu, dass NATO-Generalsekretär Rasmussen „eine Diskussion darüber eröffnet“ hat, „ob die Allianz Pläne für ein militärisches Eingreifen in Syrien erstellen solle“? „Dem Vernehmen waren Rasmussen selbst, die Türkei, Großbritannien und die Vereinigten Staaten dafür; Deutschland, Frankreich und viele andere Staaten waren eher dagegen.“ (FAZ 7.12.2012)

Unterhalb der Schwelle des offenen Einsatzes eigener Soldaten in Syrien mischen einzelne NATO-Staaten (auch Deutschland) gemeinsam mit Verbündeten wie Katar und Saudi-Arabien mit Spionageerkenntnissen, logistischer Unterstützung, Militärausbildern und Waffenlieferungen schon längst mit im syrischen Bürgerkrieg! In Riad trafen sich Anfang November 6 Tage lang Vertreter der Freien Syrischen Armee mit ausländischen Militärs. „Die ausländischen Offiziere kamen aus den USA, Jordanien, der Türkei, Katar, Saudi-Arabien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Alle gehören dem informellen Kreis der ‚Freunde Syriens’ an.“ Das schreibt das ND am 28.11.2012 unter Berufung auf einen Berichte der Beiruter Tageszeitung „Al Safir“. Es ist eben nicht so, dass die Idee einer „Flugverbotszone“ eine exklusiv türkische ist und man von daher die türkische Regierung davon abhalten müsse, das Projekt voranzutreiben. Die Idee wird seit Monaten von diversen „Freunden Syriens“ wie den USA, Frankreich und Britannien propagiert, wie man diversen Medienberichten entnehmen kann. Wenn, muss man auch noch weitere, nicht unwichtige NATO-Staaten davon abhalten zu eskalieren. Es geht nicht allein um „Einhegung der türkischen Regierung“.

Einmal angenommen, Deutschland habe den Wunsch zu deeskalieren. Was wäre die geeignete Vorgehensweise, wenn man andere NATO-Staaten von der Eskalation abhalten will? Die Verlegung der deutschen Patriots, also die Bereitstellung militärischer Ausrüstung, die einer Flugverbotszone dienen kann, um eine Flugverbotszone zu verhindern? Wohl kaum. Eine Strategie „Verhindern durch mitmachen“ wird nicht funktionieren. Es ist es naiv zu glauben, dass dem militärischen Handeln der NATO durch politische Beschlusstexte der NATO selbst irgendwelche Fesseln angelegt würden. Diese kann sie jeden Tag selbst ändern. Auch der „restriktive“ Bundestagsbeschluss, der eine Flugverbotszone im ersten Schritt ausschließt, ist schnell von der NATO ausgehebelt, wenn „neue Umstände“ es erfordern. Oder glaubt jemand ernsthaft, die Bundesregierung würde einen neuen NATO-Beschluss verhindern? Wenn doch, würden OppositionspolitikerInnen von SPD und GRÜNEN wieder rufen: Sonderweg! Deutschland isoliert sich! Nach der Libyen-Enthaltung schert Deutschland schon wieder aus dem westlichen Lager aus! Mit der Stationierung der Patriots beginnt die Rutschpartie. Deswegen: Wehret den Anfängen!

Der GRÜNE MdB, Omid Nouripour, hat davor gewarnt, die Patriots-Raketen zu nahe an der Grenze zu stationieren. Gefahr dabei: Sie könnten militärisches Ziel der Aufständischen werden, um die NATO in den Krieg hineinzuziehen. Die bisher diskutierten, aber im deutschen Mandat nicht festgeschriebenen Stationierungsorte befinden sich allerdings so weit entfernt von der Grenze, dass die Gefahr nicht wirklich besteht. Zweiter Effekt: Die Patriots haben nur eine begrenzte Reichweite, also könnten sie Syrien technisch gar nicht erreichen. Aber diese technische Grenze existiert nicht, denn die Patriot-Raketen sind mobile Systeme. Sie sind auf Fahrzeugen stationiert, die jederzeit weiter an die Grenze oder auch über die Grenze fahren können. Es ist belanglos, wo sie anfangs stationiert sind. Im Irak-Krieg 2003 bewegten sich die US-Patriot-Einheiten flexibel mit der vorrückenden Front. Die einzig sinnvolle friedenspolitische Option ist, die Patriots dort zu belassen, wo sie jetzt sind: in Bad Sülze.

In das deutsche Mandat sind wie erwartet auch AWACS-Systeme integriert. Deswegen lautet das Mandat auf 400 Soldaten, nicht nur auf 170 für zwei Patriots-Batterien. Für die deutsche Öffentlichkeit hat die Bundesregierung in ihr Mandat geschrieben, dass „die bodengebundene Luftverteidigung... nicht in den syrischen Luftraum hinein wirken“ wird. Die Absicht ist auf die Patriots als entsprechende Systeme gemünzt. Nur was ist mit den AWACS, die bekanntermaßen keine bodengebundenen Luftverteidigungssysteme sind? Das Mandat untersagt deren militärische Aufgabe, den syrischen Luftraum auszuspähen, ausdrücklich nicht. Wer nutzt die durch die AWACS gewonnenen Aufklärungserkenntnisse? Sicher auch die syrischen Aufständischen - genauso wie diese bereits von den Spionageerkenntnissen des BND-Flottendienstbootes im östlichen Mittelmeer profitierten. Insofern dient das Mandat der weiteren Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg und ist auch deswegen abzulehnen!

Uli Cremer, 7.12.12

Weitere gute Argumente und ein Aufruf GRÜNER Mitglieder gegen die Patriots finden sich unter: www.gruene-friedensinitiative.de