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Grass zu Israel und Iran

Antisemit oder Realist

GrassDer Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat mit seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" eine hitzige Debatte entflammt. Er übt in diesem Gedicht harsche Kritik an Israel und wirft dem Land vor, einen (atomaren) Präventivschlag gegen den Iran durchführen und das iranische Volk auslöschen zu wollen - so die Kritik an seinen Zeilen. Wie nicht anders zu erwarten und üblich, wenn ein Wort gegen Israel fällt, wird der Fokus der Debatte umgehend darauf umgelenkt, ob es sich bei dem Autor Grass um einen Antisemiten handelt, der mit seinen Äußerungen nur einen Kanal sucht, das jüdische Volk zu diffamieren. Aber ist das wirklich zielführend in einer Situation, die hochexplosiv ist und im schlimmsten Fall einen neuen Weltkrieg einleiten kann?

Zunächst gebührt Günter Grass für seine Courage der angemessene Respekt. Er konnte sich an zwei Fingern abzählen, dass er mit seinen Ausführungen eine Kritik- und Empörungswelle mit der Qualität eines Tsunami provozieren würde. Eine Welle, die dann auch prompt von vermeintlichen Experten und anderen dazu benutzt wird, sich in der Öffentlichkeit aufzuspielen. Eine Öffentlichkeit, die Grass durch seine Reputation erzeugt und die sich wunderbar für eine Selbstinszenierung ausschlachten lässt.

So zum Beispiel der Publizist Henyrk M. Broder, der am Mittwoch (04.04.2012) in einem Interview im Saarländischen Rundfunk die Veröffentlichung zu einer scharfen Replik auf Grass´ Meinung zu Israel nutzt, wie es die Frankfurter Rundschau ausdrückte. Broder wetterte dort, Grass habe sich im fortgeschrittenen Alter seiner nationalsozialistischen Ursprünge entsonnen. Er habe das Gedicht als ehemaliger SS-Mann geschrieben und sich als eine Art Bewährungshelfer für die aufgespielt, die Objekte des damaligen Vernichtungswahns der SS gewesen waren. Er habe wohl noch eine Rechnung mit Israel offen und dergleichen. Die weiteren Denunzierungen sind einfach nur ermüdend; der besagte Witz, den man schon hundert Mal gehört und bereits beim ersten Mal langweilig gefunden hat.

Ganz anders der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, der sich in einem Interview, ebenfalls mit der Frankfurter Rundschau, nach Kräften bemühte zu beteuern, wie sehr er Grass schätzt und wie wenig er ihn für einen Antisemiten hält. Er beteuerte, dass Israel nie einen Atomschlag gegen den Iran durchführen und sich ein möglicher Angriff ausschließlich gegen die Atomanlagen, nicht aber gegen das iranische Volk richten werde. Die übliche Beschwichtigungsrethorik vor einem Krieg. Wie immer steht die Behauptung für die friedlichen Absichten, die ein Krieg verfolge, Pate, es gehe rein um militärische Ziele - nicht um die Zivilbevölkerung. Ein Angriff könne ohnehin nur unter Einbeziehung der USA stattfinden. Israel sei hierzu weder willig, noch in der Lage. Das Militär und die Bevölkerung haben sich sehr klar gegen einen Präventivschlag ausgesprochen. Wobei er einräumt: "Israel ist der einzige Staat auf Erden, der offen mit Vernichtung bedroht wird – und zwar von der iranischen Führung." Clever.

Israel ist also einmal mehr das Opfer, das gar nicht anders kann, als sich gegen die iranische Bedrohung zu schützen. Und wie Primor postuliert, scheinbar Grass in Schutz nehmend und auf seiner Seite stehend, verstehe dieser den Konflikt zwischen den beiden Ländern einfach falsch. Aber wer Grass' Gedicht aufmerksam liest, muss schon viel Fantasie entwickeln, um in seinen Worten einen Irrtum zu entdecken. Vielmehr beschreibt er eine zementierte Weltordnung, die es aus seiner Sicht endlich zu ändern gilt. Eine Weltordnung, die einen öffentlichen Meinungsfaschismus mit sich trägt. Kritik an Israel ist verboten - besonders wann man Deutscher und ein ehemaliger SS-Mann ist (wie Günter Grass). Ein Sakrileg. Wie einst jedes auch noch so vorsichtig formulierte Wort gegen die katholische Kirche, das kategorisch verboten war und unerbittlich durch die heilige Inquisition bestraft wurde.

Dabei drückt Grass in seinem Gedicht vor allem Verzweiflung und Schmerz aus. Den Schmerz, dass er sich selbst versagt hat, eine aus seiner Sicht längst überfällige Kritik an einem Land zu äußern, das er sehr schätzt. Aber vor allem drückt er die Verzweiflung darüber aus, dass sein Heimatland - Deutschland - in diesem Wahnsinn eine tragende und zugleich im Grunde untragbare Rolle spielt, indem es Israel mit Atom-U-Booten beliefert, die als eine Art absoluter Vernichtungswaffe betrachtet werden müssen. Er drückt die Ungeheuerlichkeit aus, dass ein Land wie Deutschland durch solcherlei Lieferungen ein aktiver Teil dieses Konfliktes wird, mit dem er in keiner Weise einverstanden ist.

Er drückt diese jeder demokratischen Grundlage entbehrende Anmaßung so aus: "Jetzt aber, weil aus meinem Land, das von ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird, wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert, ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll, dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist, doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will, sage ich, was gesagt werden muß."

Und damit beschreibt er, worum es in diesem, wie in so vielen anderen Konflikten unserer Welt immer wieder geht. Um Geld und Vormachtstellung. Ziele, die keine Skrupel dulden, das sich jeder noch so infamen Heuchelei bedienen, um ihre Mittel zu heiligen und scheinbar zu legitimieren. Kein Mensch beklagt sich, dass Israel und die USA Atomwaffen und das letztere diese als einziges Land der Erde bisher auch eingesetzt haben. Das Bild des guten Westens, der sich gegen die Achse des Bösen, wie George W. Bush es ausdrückte, zur Wehr setzen muss, hält sich eisern in den Medien und in den Köpfen.

Wie gefährlich dieses Spiel für den Weltfrieden ist - was Grass ebenfalls bestechend treffend auf den Punkt bringt - unterstreicht Avi Primor sehr deutlich, wenn er sagt, ein Angriff Israels würde nur mit Hilfe der USA erfolgen können.

Wenn die USA diesen Krieg einleiten, ziehen sie damit automatisch auch die NATO - zu deren Mitgliedschaften Israel bislang nicht zählt - mit in den Konflikt. Damit ist ein Weltkrieg im Grunde nicht mehr zu vermeiden. Israel spannt hierdurch indirekt große Teile der Welt für sich und seinen Konflikt ein - ohne Rücksicht auf Verluste. Russland und China - zwei der größten Atommächte der Erde - haben sehr deutlich vor einem Militärschlag gegen den Iran gewarnt. Die Konsequenzen dieser Situation sind nicht auszumalen.

Die Worte Peter Sloterdijks, aus seinem Buch "Falls Europa erwacht", bekommen in diesem Kontext ein neue Qualität: "Existieren bedeutet nun, des Wesens beraubt sein und den Mangel an Sein als erste Eigenschaft am Leibe zu tragen. Darum erscheint jetzt der Mensch als Parasit des Seins - dazu verurteilt, die Dinge zu beneiden und sich nach ihrer Substantialität zu sehnen."

Die Diskussion um Günter Grass geht wieder einmal am Thema vorbei. Statt sich über den Inhalt seiner Zeilen ernsthaft Gedanken zu machen und sie kontrovers zu diskutieren - vielleicht sogar mit der Option, eine Lösung zu finden - wird seine Person in den Mittelpunkt der Diskussion gezerrt. Aber können wir es uns wirklich leisten, der inhaltlichen Diskussion über den Konflikt zwischen Israel und dem Iran auszuweichen? Ein Konflikt, der historisch betrachtet eine inzwischen circa 9.000 Jahre alte Fehde ist und dem nun ein Endpunkt gesetzt werden soll? Der Konflikt zwischen den Hebräern und den Persern. Ein Konflikt zweier Nationen, die sich seit der Zwangsdeportation der jüdischen Überlebenden als permanente, gegenseitige Bedrohung erleben; der durch religiösen und nationalistischen Fanatismus gesteuert und durch unreflektierten Hass genährt wird.

Das Gedicht von Günter Grass ist ein Monument eines historischen Zeitpunkts, der über viele Dinge entscheiden kann. Im Extremfall über den Fortbestand unserer Realität. Auch wenn das Gewicht dieser Situation den einzelnen zu erdrücken droht, so sind wir dennoch gut beraten den Kopf zu heben und hinzusehen. Es gibt keinen Krieg, der Frieden schafft.

Oliver Rückemann

Seit mehr als 11 Jahren freier Berater - Autor des Buches "Ökolution 4.0 - Wirtschaftliche und gesellschaftliche Imperative in Zeiten ökologischer und ökonomischer Krisen"