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EU-Parlament diskutierte über geplante Dienstleistungsrichtlinie

"Wichtigstes Gesetzesvorhaben der EU"

Das Europäische Parlament hat am Mittwoch eine ausführliche und kontroverse Debatte über die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie geführt. Mit Blick auf die Abstimmung am kommenden Donnerstag laufen zwischen den Fraktionen Verhandlungen, um zu einer möglichst breiten Mehrheit innerhalb des Parlaments zu gelangen. "Heute sind wir mit dem wichtigsten Gesetzesvorhaben der Europäischen Union neben der Verfassung für Europa in der Endrunde angekommen", sagte Evelyne Gebhardt (SPD), Berichterstatterin der Dienstleistungsrichtlinie. Dienstleistungen müssten in Europa so freizügig sein wie Waren und Geld. Neben Zustimmung für den modifizierten Richtlinienvorschlag gab es nach wie vor auch grundsätzliche Kritik.

Als Reaktion auf die breite Kritik an der Richtlinie von Globalisierungskritikern und Gewerkschaften sagte Gebhardt, dass die EU dem Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger dienen müsse und nicht "Shareholder value oder Marktmechanismen der Liberalisierung". Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehörten ins Zentrum, nicht große Unternehmen. Auch an kleinere Unternehmen wie das Handwerk müsse gedacht werden.

Trotz aller ideologischen Gräben sei man aber bei der Überarbeitung des Kommissionsentwurfs gut vorangekommen. Am Ende müsse nun eine Richtlinie "ohne viel Bürokratie" stehen, so Gebhardt. Die Richtlinie müsse die Gefahr "einer Abwärtsspirale bei den Arbeits- und Lohnbedingungen, bei der Qualität, beim Schutz der Verbraucher und der Umwelt ausschließen". Man müsse sich deshalb vom Herkunftslandprinzip "in seiner verheerenden Form trennen".

Gebhardt: "Die von Zeitarbeitsfirmen betriebene moderne Sklaverei"

Sie habe eine einfache Lösung vorgeschlagen. Ein legal in einem EU-Mitgliedsland arbeitendes Dienstleistungsunternehmen dürfe seine Dienste in jedem anderen EU-Land anbieten, wobei Regeln und Gesetze des Ziellandes zu gelten hätten. Dies entspreche der Lebenserfahrung der Menschen: "Mit dem deutschen Führerschein darf ich in England Auto fahren, aber rechts fahren darf ich nicht."

Auch habe sie vorgeschlagen, nur marktfähigen, kommerziellen Dienstleistungen Freizügigkeit zu gewähren. Alle anderen müssten ausgeschlossen bleiben. "Die von Zeitarbeitsfirmen betriebene moderne Sklaverei ist beispielsweise keine Dienstleistung, der wir in Europa Freizügigkeit gewähren müssen".

Des Weiteren müssten weite Bereich der Daseinsvorsorge ausgenommen werden - "damit schützen wir die Selbstverwaltung der Kommunen und den Willen der Bürger, von der Wasserversorgung bis zum Kindergarten ihre Dinge selber zu regeln".

Bartenstein: Zersplittete Dienstleistungsmärkte verhindern "das angestrebte Wachstum"

Der österreichische Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Martin Bartenstein sagte, dass enormes Potential im gesamten europäischen Dienstleistungssektor stecke und damit ein Wachstumspotential, das es auszuschöpfen gelte. Er bezeichnete die momentane Situation der Dienstleistungsmärkte in der EU als zersplittert. Dies verhindere "das angestrebte Wachstum".

Barroso: "Allzu viel Polemetik"

Kommissionspräsident José Manuel Barroso zeigte sich zuversichtlich in Bezug auf eine positive Abstimmung der Richtlinie durch das Europäische Parlament. Dabei müsse auf die Ängste der Bevölkerung eingegangen werden, die durch allzu viel Polemik und zahlreiche Missverständnisse geschürt worden seien. Es werde ein Kompromiss gebraucht, der sich für mehr Wirtschaftswachstum und gleichzeitig für mehr Soziales stark mache. Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy sagte, die EU-Kommission begrüße zahlreiche Änderungsvorschläge des Parlaments, insbesondere hinsichtlich administrativer Vereinfachung und Kooperation sowie Niederlassung. Auch die Änderungsvorschläge zu den Diensten von allgemeinem Interesse begrüße er. Allerdings sollten Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse unter die Richtlinie fallen. Die Kommission werde aber nur Änderungen "akzeptieren", die einen Schritt in Richtung eines Binnenmarktes für Dienstleistungen bedeuten.

Pöttering: Die Richtlinie wird "die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Dienstleister steigern"

Hans-Gert Pöttering (CDU) sagte, dass die Dienstleistungsfreiheit zwar seit 1958 vertraglich verankert, jedoch nach wie vor das Stiefkind sei, da die Mitgliedstaaten die vertraglichen Verpflichtungen bislang noch nicht voll umgesetzt hätten. Die Dienstleistungsrichtlinie werde "die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Dienstleister steigern, sie wird zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen und die Auswahl für Verbraucher und kommerzielle Nachfrager verbreitern", hofft Pöttering.

Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag sei Gegenstand von berechtigter, aber auch viel unberechtigter Kritik gewesen. "Die so genannte Bolkestein-Richtlinie wurde zum Anlass genommen, Unbehagen über Folgen von Globalisierung, EU-Erweiterung, verstärktem Wettbewerbsdruck und überhaupt Unbehagen über die wirtschaftlichen Realitäten zu äußern", kritisierte Pöttering.

Schulz: Das Ziel von Bolkestein war weniger Einkommen, weniger soziale Sicherheit, weniger Umweltrechte, weniger Verbraucherschutz

Für Martin Schulz (SPD) geht es bei der Dienstleistungsrichtlinie um nicht mehr und nicht weniger um die Frage: "Welches Gesellschaftsmodell wollen wir in Europa?". In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei jeder ökonomische und technische Fortschritt gekoppelt gewesen an mehr Einkommen, mehr soziale Sicherheit, mehr Umweltrechte, mehr Verbraucherschutz. Das Ziel von Bolkestein sei genau das Gegenteil gewesen. Dies werde heute beendet - und dies sei die erste gute Botschaft in dieser Diskussion. Auch sei der Versuch gescheitert, die neuen Länder gegen die alten auszuspielen.

Schulz meint, dass sich eine breite Mehrheit für eine neue Dienstleistungsrichtlinie abzeichne, die den freien Marktzugang sichere, aber zugleich klar mache, dass Dienstleistungen unter den Bedingungen des Ziellandes erbracht werden. Schulz stellte das Europäische Parlament in "unserer deregulierten Welt" als Schutzmacht für die kleinen Leute" dar.

Lechner: "Eigentlich geht es nur darum, diesen Protektionismus zu beseitigen"

Kurt Lechner (CDU) kritisierte die Mitgliedsstaaten, da diese der Dienstleistungsfreiheit Barrieren und Schikanen in den Weg stellten und so ihren Fortschritt stoppen würden. "Eigentlich geht es nur darum, diesen Protektionismus zu beseitigen und dafür mit dieser Richtlinie das entsprechende Rechtsinstrument zur Hand zu haben". Die Richtlinie biete Vorteile für alle, vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen, die im Gegensatz zu den großen "global playern" nicht überall über Niederlassungen verfügen, von denen aus sie ihre Dienstleistungen anbieten können.

Den Menschen würde mit der Richtlinie mehr Wahlrecht geboten und den Arbeitern mehr Arbeit. Lechner meint, dass es keine Verschlechterung, sondern "mit Sicherheit Fortschritt" geben werde.

Wagenknecht: Einigung zwischen Konservativen und Sozialdemokraten ist "fauler Kompromiss" Mit scharfen Worten richtete sich Sarah Wagenknecht (Linkspartei) gegen die neoliberale Politik der letzten Jahre. "Die Lügen zur Rechtfertigung neoliberaler Politik sind immer gleich. Arbeitsplätze würden so entstehen. Wachstum würde gefördert, das haben wir heute auch schon mehrfach gehört." Tatsächlich habe der neoliberale Umbau Europas in den vergangenen fünfzehn Jahren genau das Gegenteil bewirkt.

Jede neue Liberalisierungsrunde habe Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet und die Armut vergrößert. Die Bolkestein-Richtlinie sei ein Großprojekt derer, die einen "gänzlich entfesselten Kapitalismus" wollten. "Wird sie Realität, wäre dies der Durchbruch zu einem Europa, in dem die Logik von Markt und Profit uneingeschränkt regiert, in dem Qualitäts- und Umweltstandards nach unten angeglichen und die Abwärtsspirale bei Löhnen und sozialen Sicherungen weiter beschleunigt würde."

"Diese Stoßrichtung ist auch im faulen Kompromiss, auf den sich Konservative und Sozialdemokraten geeinigt haben, unverändert enthalten", meint Wagenknecht. Auch nach ihm würden "die marktradikalen Bestimmungen der Richtlinie in Bereichen wie Bildung oder Wasserversorgung Anwendung finden". Das Herkunftslandprinzip sei nicht wirklich überwunden, sondern "der Interpretation des Europäischen Gerichtshofs überlassen". Damit dürfte die Konzernlobby gut leben können, da der Gerichtshof in der Vergangenheit zumeist zu ihren Gunsten geurteilt habe.