Seite 1 bei Google kann so einfach sein.

Linke halten Kompromiss zur EU-Dienstleistungsrichtlinie für eine Mogelpackung

Harte Kritik an SPD

Das Europäische Parlament hat am Donnerstag mit klarer Mehrheit für eine als "Kompromiss" bezeichnete Fassung der EU-Dienstleistungsrichtlinie gestimmt. In erster Lesung votierten für das Gesetzesvorhaben zur Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte 394 Abgeordnete, 215 stimmten dagegen und 33 enthielten sich. Die Richtlinie soll den freien Dienstleistungsverkehr im EU-Binnenmarkt erleichtern. Für die SPD erteilt der Kompromiss "dem neoliberalen Ansatz des ursprünglichen Kommissionsvorschlags und einem Wettlauf um die niedrigsten Lohn-, Sozial- und Umweltstandards eine klare Absage". DGB-Chef Michael Sommer bezeichnete es als politischen Erfolg der Gewerkschaften, dass das Herkunftslandprinzip nicht mehr Kern des EU-Dienstleistungsmarktes sei. Die Linkspartei bezweifelt genau dies und wirft der SPD vor, sie solle "endlich ihr Spiel mit falschen Karten beenden". Es nütze nichts, "wenn man den Begriff 'Herkunftslandprinzip' streicht, das Prinzip jedoch im Wesentlichen beibehält". Weder Gründe der Sozialpolitik noch des Verbraucherschutzes sollten es dem Land, in dem eine Dienstleistung erbracht werde, erlauben, die Dienstleistungsfreiheit einzuschränken.

Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac vertritt die Auffassung, dass das Herkunftslandprinzip "anders als immer wieder verkündet keineswegs gestrichen, sondern lediglich umbenannt und etwas eingeschränkt worden" sei. Das Gesetzgebungsverfahren ist mit der Parlamentsentscheidung noch nicht beendet. Jetzt ist den Spielregeln der EU entsprechend wieder der EU-Ministerrat am Zug.

Nach Darstellung des Europäischen Parlaments bleibt es das Ziel der Richtlinie, "Hindernisse für den freien Verkehr von Dienstleistungen zu beseitigen und einen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu schaffen". Das Parlament habe jedoch klargestellt, dass das nationale Arbeits- und Sozialrecht auch weiterhin gelte.

EU-Parlament: Der Begriff "Herkunftslandprinzip" wird ersetzt durch "Freier Dienstleistungsverkehr"

Das Parlament hat mit der Abstimmung am Donnerstag am Vorschlag der EU-Kommission einige Änderungen vorgenommen. Die erste Änderung ist eine sprachliche: Der Begriff "Herkunftslandprinzip" wird in der gesamten Richtlinie ersetzt durch den Begriff "Freier Dienstleistungsverkehr", um "auch sprachlich den vorgenommenen Änderungen am ehemaligen Herkunftslandprinzip Rechnung zu tragen".

Zweitens haben die Mitgliedstaaten laut Parlament das Recht, den Dienstleistungserbringern bestimmte Anforderungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit aufzuerlegen. Auch dürfen die Mitgliedstaaten ihre Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen, einschließlich derjenigen in Tarifverträgen, anwenden. "Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten den Dienstleistungserbringer weder direkt noch indirekt aufgrund dessen Staatsangehörigkeit diskriminieren", heißt es relativierend. Und: Etwaige Anforderungen müssen "erforderlich", also aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt "gerechtfertigt" sein. Ebenso müssten die Anforderungen "verhältnismäßig" sein.

EU-Parlament stärkt Rechte der Unternehmen und beschränkt die der Mitgliedstaaten

Mit weiteren Änderungen stärkt das EU-Parlament die Rechte der Unternehmen: So soll den Mitgliedstaaten nach dem Willen der Parlamentarier untersagt werden, ein Unternehmen zu verpflichten, auf ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten. Auch sollen Unternehmen nicht verpflichtet werden dürfen, Mitglied in einer Standesorganisation zu werden.

Des Weiteren dürften die Mitgliedstaaten beispielsweise nicht vom Dienstleistungserbringer verlangen, sich von ihren zuständigen Stellen einen besonderen Ausweis für die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit ausstellen zu lassen. Auch ein Verbot, auf ihrem Hoheitsgebiet eine bestimmte Infrastruktur wie zum Beispiel Geschäftsräume, Kanzlei oder Praxis zu errichten, die zur Erbringung der betreffenden Leistungen erforderlich sei, werde den Mitgliedstaaten untersagt.

Keine Klauseln zur Sozialpolitik und zum Verbraucherschutz

Umstritten war zwischen den Fraktionen lange Zeit die Frage, ob die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr auch aus Gründen der Sozialpolitik und des Verbraucherschutzes einschränken können. Befürchtet wurde, dass damit die Dienstleistungsfreiheit unterlaufen und künstliche Barrieren errichtet werden könnten. Die beiden großen Fraktionen, die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (SPE) einigten sich nach Angaben des EU-Parlaments schließlich darauf, keinen Verweis auf die Sozialpolitik und den Verbraucherschutz aufzunehmen.

Hier setzt die Kritik der Verbraucherschützer an. Die Verbraucherzentrale Bundesverband reagierte noch am Mittwoch mit "Unverständnis" auf Medienberichte, wonach sich Sozialdemokraten und Konservative auf die Streichung des Verbraucherschutzes in der Dienstleistungsrichtlinie geeinigt hätten. "Das Einknicken der Sozialdemokraten ist eine Ohrfeige für die europäischen Verbraucher", meint Verbandschefin Edda Müller.

Sie wies die Kritik an Verbraucherschutzstandards als Einfallstor für Protektionismus zurück. Wer Verbraucherschutz als Protektionismus bezeichne, habe nicht begriffen, dass die Wirtschaft ohne das Vertrauen der Verbraucher nicht florieren kann. "Die Autoren des EG-Vertrags haben das besser verstanden", so Müller. "Der EG-Vertrag schreibt für alle EU-Richtlinien die Einhaltung eines hohen Verbraucherschutzniveaus vor."

Nach einem vor einer Woche im EU-Parlament ausgehandelten Kompromiss hätten ausländische Dienstleister "sicherstellen müssen, dass sie sich bei Gesundheit und Umweltstandards an die Bestimmungen des Ziellandes halten", so Müller. Die Einführung einer Verbraucher-Klausel in Artikel 16 hätte den Mitgliedstaaten außerdem erlaubt, Dienstleistern aus Gründen des Verbraucherschutzes die Vorschriften des Ziellandes entgegenzuhalten. "Diese wichtige Regel" sei jetzt gestrichen wordena. Für Deutschland bedeute dies beispielsweise, dass das bisherige Verbot unerbetener Telefonwerbung ausgehebelt würde - belästigende Werbeanrufe wären legal, solange die Call Center ihren Sitz im Ausland haben.

Wettbewerb auch bei Dienstleistungen der Daseinsvorsorge

Die Sprecherin der Linkspartei, Ulla Lötzer, bemängelte ebenfalls, weder Gründe der Sozialpolitik noch des Verbraucherschutzes würden es einem Land erlaube, die Dienstleistungsfreiheit einzuschränken. Zudem sollten auch Dienstleistungen der Daseinsvorsorge künftig der Konkurrenz der 25 Mitgliedstaaten unterworfen werden. "Nicht einmal der gesamte Gesundheitsbereich wurde vom EP aus der Richtlinie ausgenommen, die privaten Gesundheitsdienste verbleiben im Geltungsbereich", kritisierte Lötzer.

Die EU-Kommission habe zudem bereits angekündigt, nicht einmal die Empfehlungen des Europäischen Parlamentes einfach zu übernehmen. Sie wolle dem Rat einen Kompromiss "zwischen dem wachsweichen Kompromiss des Parlamentes und ihrem ursprünglichen Vorschlag" vorlegen.

Die Ergebnisse der Abstimmung im Europäischen Parlament bedeuteten eine "Niederlage für ein soziales Europa. Heute wo es drauf ankam, haben sich die Sozialdemokraten vom Widerstand gegen die Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet und dem Sozial- und Umweltdumping die Stimme gegeben", so Lötzer. Die Auseinandersetzung um die Richtlinie sei "noch lange nicht vorbei".

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac kritisierte ebenfalls, dass die Dienste der allgemeinen wirtschaftlichen Interessen wie die Wasserversorgung im Geltungsbereich der Richtlinie blieben.

Zwar sei es durch den breiten Widerstand von Attac, Gewerkschaften und vielen anderen gelungen, den ursprünglichen Kommissionsentwurf etwas abzumildern, sagte Stephan Lindner von Attac. "Der dringend notwendige Richtungswechsel zu mehr Harmonisierung durch Schaffung anspruchsvoller sozialer und ökologischer Standards" sei aber nicht erreicht worden. Es reiche nicht, in der Dienstleistungsrichtlinie Ausnahmen aufzunehmen, denn diese stünden "immer unter dem Vorbehalt, dass sie konform mit dem übrigen Gemeinschaftsrecht sein müssen". Damit bestehe bei jeder Ausnahme weiter die Gefahr, dass sie durch weitere Urteile des Europäischen Gerichtshofs in ihr Gegenteil verkehrt würden.

Auf scharfe Kritik stießen bei Attac auch Ankündigungen der Kommission, für einige vom Parlament beschlossene Ausnahmen bald neue Vorschläge auszuarbeiten, die sich an der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs orientierten. "Die breite Ablehnung der Europäischen Verfassung in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden und die Massenproteste der letzten Tage haben deutlich gemacht, dass in der EU weiterhin Politik gegen den Willen der Mehrheit gemacht wird. Attac wird seinen entschlossenen Widerstand gegen jede weitere Deregulierung und seinen Einsatz für anspruchsvolle soziale und ökologische Standards in der EU weiter fortsetzen, bis ein Richtungswechsel in der Politik der EU erreicht ist."

FDP: "Statt Dienstleistungen zu erleichtern wird Protektionismus kanonisiert"

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, kritisierte ebenfalls einen "schwarz-roten Kuhhandel zulasten der Arbeitslosen". Die Kritik der Liberalen hat allerdings eine andere Stoßrichtung. Die heute in Straßburg beschlossene Fassung der Dienstleistungsrichtlinie sei falsch, weil sie Wachstum verhindere statt zuu fördern und weil sie Arbeitslosigkeit verfestige statt abzubauen.

Der Kompromiss sei auch "unangebracht, weil es sich um Etikettenschwindel handelt: Statt Dienstleistungen zu erleichtern wird Protektionismus kanonisiert", kritisierte Graf Lambsdorff, ohne allerdings genauer darzulegen, an welchen Regelungsovrschlägen er diese Bewertung festmacht.

EVP: Der Verbraucherschutz kann nicht zu einer Abschottung gegenüber Dienstleistern aus anderen Mitgliedsländern missbraucht werden

Hans-Gert Pöttering von der Europäischen Volkspartei begrüsste das Abstimmungsergebnis. Das angenommene Kompromisspaket trage weitgehend die Handschrift seiner Fraktion. So hätten die Konservativen durchsetzen können, "dass der öffentlich-rechtliche Verbraucherschutz nicht zu einer Abschottung gegenüber Dienstleistern aus anderen Mitgliedsländern missbraucht werden darf". Gleichzeitig ändere sich das Schutzniveau für den einzelnen Verbraucher jedoch nicht.

Das jetzt verabschiedete Paket sei "ausgewogen" und schliesse Sozial- und Lohndumping aus. Es werde gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen im Binnenmarkt neue Chancen eröffnen.